Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen. Auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen. Und ich will Wunderzeichen geben am Himmel und auf Erden: Blut, Feuer und Rauchdampf. Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des HERRN kommt. Und es soll geschehen: Wer des HERRN Namen anrufen wird, der soll errettet werden. Joel 3



Philothea: Wir müssen uns von der Anhänglichkeit an läßliche Sünden reinigen.

Aus der Philothea von Franz von Sales  /  erster Teil  /  22. Kapitel 

Je heller es wird, desto deutlicher sehen wir im Spiegel Flecken und Unsauberkeiten an unserem Gesicht. Ebenso sehen wir in dem Maße, als das innere Licht des Heiligen Geistes unser Gewissen erleuchtet, an ihm deutlicher und klarer Sünden, Neigungen und Unvollkommenheiten, die uns daran hindern können, die wahre Frömmigkeit zu erlangen; und dasselbe Licht, das uns diese Mängel und Schwächen zeigt, erwärmt unser Herz, daß es seine Reinigung und Läuterung anstrebe.

Durch die bisher behandelten Übungen bist du von der Todsünde und von der Anhänglichkeit an sie gereinigt. Du wirst aber in deiner Seele außerdem noch verschiedene Neigungen und Anhänglichkeiten an läßliche Sünden entdecken. Ich spreche nicht davon, daß du läßliche Sünden in dir vorfindest, sondern ich sage: Du wirst Anhänglichkeiten und Neigungen finden. Das ist nicht dasselbe. Wir können nie ganz frei von läßlichen Sünden sein, jedenfalls können wir es nicht lange bleiben. Aber von der Anhänglichkeit an sie können wir wohl frei werden. Es ist gewiß ein Unterschied, ob ich das eine oder andere Mal freiwillig in einer unwichtigen Sache lüge oder ob ich am Lügen Freude habe und an dieser Sünde hänge.
Ich sage also, man muß sein Herz von jeder Anhänglichkeit an läßliche Sünden reinigen. Das heißt, man darf nicht freiwillig die Absicht hegen, irgendeine läßliche Sünde weiter zu begehen und in ihr zu beharren. Es wäre doch wahrhaftig eine gefährliche Lauheit, wollte man wissentlich etwas Gott so Mißfälliges in seinem Herzen bestehen lassen, wie es der Wille ist, ihm zu mißfallen.
Die läßliche Sünde, so gering sie auch sein mag, mißfällt Gott, freilich nicht so sehr, daß er uns dafür verdammen und verderben will. Mißfällt sie ihm aber, so ist das freiwillige Festhalten an ihr nichts anderes als der Entschluß, der göttlichen Majestät zu mißfallen. Ist es denn möglich, daß eine wohlgestaltete Seele Gott nicht nur mißfallen will, sondern noch Freude daran hat, ihm zu mißfallen?
Solche Anhänglichkeit widerspricht der Frömmigkeit genau so, wie die Anhänglichkeit an Todsünden der Gottesliebe. Sie schwächt die Seelenkräfte, behindert die Freude am Göttlichen, öffnet der Versuchung Tür und Tor; die Seele stirbt zwar nicht an ihr, aber sie wird doch schwerkrank. "Tote Mücken", sagt der Weise (Koh 10,1), "zerstören und verderben den Wohlgeruch der Salben." Er will sagen: Mücken, die nicht auf der Salbe sitzen bleiben, sondern nur im Vorübergeben davon naschen, verderben nur das, was sie nehmen; bleiben sie aber an der Salbe hängen, so daß sie zugrunde gehen, dann wird diese verdorben und unbrauchbar. So schaden auch läßliche Sünden einem frommen Menschen wenig, wenn er nicht an ihnen hängt; schlagen sie aber in der Seele Wurzeln, indem man sie lieb gewinnt, dann verderben sie die heilige Frömmigkeit.
Die Spinnen töten nicht die Bienen, wohl aber verderben sie den Honig. Wenn sie im Bienenstock bleiben, dann überziehen sie die Waben mit ihrem Gewebe, und die Bienen können nicht mehr arbeiten. So tötet auch die läßliche Sünde nicht das Leben der Seele, sie verdirbt aber die Frömmigkeit und behindert die Seelenkräfte so sehr durch schlechte Gewohnheiten und Neigungen, daß die frische Tatbereitschaft, darin die Frömmigkeit besteht, lahmgelegt ist; dies allerdings nur, wenn die läßliche Sünde durch die Anhänglichkeit dauernd im Herzen wohnt.
Es hat nicht viel zu bedeuten, wenn einem eine kleine Lüge unterlaufen ist oder wenn man einen kleinen Fehler in Worten, Handlungen, Blicken, in Kleidung, Schmuck, Spiel oder Tanz begangen hat, - vorausgesetzt, daß wir die Spinnen des Geistes sofort nach ihrem Eindringen aus dem Herzen verjagen und entfernen, wie es die Bienen mit den Spinnen machen. Denn gestatten wir ihnen, in unserem Herzen festen Fuß zu fassen, ja halten wir sie freiwillig fest und nähren sie, dann werden wir bald unseren Honig verdorben, unser Gewissen verpestet und zerstört sehen. Noch einmal frage ich: Wie kann eine hochherzige Seele Gefallen daran finden, Gott zu mißfallen? Wie kann sie es lieben, ihm weh zu tun? Wie kann sie etwas wollen, was er verabscheut?




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