Die Nachfolge Christi | drittes Buch | Kapitel 33
1. Das Menschenherz ist gewöhnlich von Stimmungen beherrscht.
2. Der kluge Mensch steht über allen Stimmungen, das Geistesauge auf Gott gerichtet.
3. Die Absicht, Gott und nur Gott zu suchen ist selten.
1. (Der Herr:) Mein Sohn, trau nicht der Stimmung, die dich augenblicklich
beherrscht; sie schlägt leicht um. Solange du lebst, bleibst du dem Wandel
unterworfen, ob du willst oder nicht. Bald bist du fröhlich, bald traurig; bald
ruhig, bald erregt; heute innerlich, morgen ausgegossen; jetzt voll Eifer, dann
wieder nachlässig; einmal ernst, ein andermal leichtfertig.
2. Der Weise, der sich im geistlichen Leben gut auskennt, steht über dieser
Wandelbarkeit. Er achtet nicht auf seine Stimmungen und fragt sich nicht, von welcher Seite der Wind der Unbeständigkeit weht. Ihm geht es um das eine, daß
das ganze Sinnen und Trachten seines Geistes auf das rechte, ersehnte Endziel
gerichtet sei. So kann er sich selbst gleich bleiben, ohne zu wanken, weil er
unter all den vielen Zufälligkeiten das Auge seiner Absicht geradewegs und
unablässig auf mich richtet. Je reiner das Auge der Absicht, desto sicherer
schreitet er durch die mannigfachen Stürme.
3. Doch das Auge vieler ist, was ihre reine Absicht betrifft, umdunkelt. Es heftet
sich leicht an irgend eine Sinnenfreude, die sich gerade darbietet. Denn nur
selten findet man einen, der von dem Fehler der Selbstsucht ganz frei wäre. So
kamen die Juden einst nach Bethanien zu Martha und Maria, "nicht nur um Jesu willen, sondern auch um Lazarus zu sehen" (Joh 12, 9). Man muß also das Auge
des Geistes reinigen, daß es einfältig und gerade sei und über all dem bunten
Wechsel an mir haften bleibe.