Die Nachfolge Christi | drittes Buch | Kapitel 8
1. Die geringe Selbsteinschätzung ist ein Quell großer Gnaden.
2. Gott gibt seine Gnade denen,
die sich unbedeutend vorkommen und sogar den undankbaren Sündern.
1. Die geringe Selbsteinschätzung ist ein Quell großer Gnaden.
2. Gott gibt seine Gnade denen,
die sich unbedeutend vorkommen und sogar den undankbaren Sündern.
1. (Der Knecht:) "Ich will zu meinem Herrn sprechen, ob ich gleich Staub und
Asche bin" (Gen 18,27). Wenn ich mich höher einschätze, siehe, dann "stehst du wider
mich" (vgl. Num 22, 34), und auch meine Sünden bezeugen den wahren
Tatbestand, und ich kann nicht widersprechen. Achte ich mich aber gering und komme ich
mir wie ein Nichts vor, lasse ich alle Selbstgefälligkeit fahren und erniedrige ich
mich bis zum Staube, der ich ja auch bin, dann wird deine Gnade mir beistehen und dein
Licht mein Innerstes treffen.
Und auch der geringste Selbstdünkel wird im Abgrund
meiner Nichtigkeit versinken und für immer untergehen. Dort läßt du mich sehen, was
ich bin, was ich war und wohin ich gekommen bin, daß ich nämlich, ohne es zu
wissen, ein Nichts gewesen bin. Bleibe ich mir selbst überlassen, siehe, dann bin ich ein
Nichts und lauter Schwäche. Wenn du mich aber plötzlich anschaust, strömt mir
sogleich Kraft zu, und ein neuer Frohsinn erfüllt mich. Es gibt zu staunen und zu
denken, daß ich so unversehens erhoben und so liebevoll von dir umfangen
werde, wo mich doch die Erdenschwere ständig in die Tiefe reißt.
2. Das tut deine Liebe, die mir ohne mein Verdienst zuvorkommt, die mir in so
vielen Nöten Hilfe leistet, mich auch in schweren Gefahren beschützt und, um die
Wahrheit zu sagen, mich vor unzähligen Übeln bewahrt. Indem "ich mich sündhaft liebte,
habe ich mich selbst verloren" (vgl. Joh 12,25). Indem ich dich allein suchte und
lauteren Herzens liebte, habe ich mich und dich zugleich gefunden und mich in Liebe
noch tiefer in mein Nichts versenkt. Denn du, die Güte selbst, tust weit mehr für mich,
als ich je verdiente und ich je zu hoffen und zu erbitten wage. Gepriesen seist du,
mein Gott! Ich bin zwar aller Güter unwürdig, aber deine edle, unbegrenzte Güte hört
nie auf, sogar denen Wohltaten zu spenden, die keine Dankbarkeit kennen und weit
von dir in der Ferne wandeln. Gib uns die Wende zu dir, daß wir dankbar, demütig
und fromm sind; denn unsere Rettung und unsere ganze Kraft bist du.