„ICH sah mich wie eine arme Missetäterin an, die in ihres Fürsten Gunst und Freundschaft zu
kommen begehrt ... je elender ich mich sah, desto mehr wünschte ich mit dem, den ich als mein
einziges Gut und mein Alles erkannte, mich zu vereinigen.
So brachte ich die ganze Passionszeit zu. Am Karfreitag aber ging ich in die Predigt. Da ich da noch keine Viertelstunde lang von den Leiden meines Heilands reden gehört hatte, war mein Herz schon von Schmerzen so gewaltig gerührt und durchbohrt, dass ich, weil ich nicht mehr bleiben konnte, gezwungen war, wegzugehen, ausFurcht, es möchte mir in Stücke zerspringen oder doch seine heftige Bewegung auf die eine oder die andere Weise offenbaren. Ich ging dann nach Hause, wo zur Zeit kein Mensch war. Da schloss ich mich ein und lief von einem Ort zum andern und rief, dass mir der Atem ausging, wie eine Rasende oder wie eine, die ganz ausser sich selbst ist. Hernach warf ich mich auf die Erde und schrie: »Gnade, Herr, Gnade!« Ich bat die ganze Himmelsschar um Beistand und beschwor alle Heiligen, mir zu helfen. Und mich zu Gott kehrend, sagte ich zu ihm mit flammender Inbrunst: »O mein Herr und mein Gott, siehe der Tag ist gekommen, da ich ganz dein sein muss. Reinige und wasche mich in deinem teuren Blut. Salbe mein Herz mit dem Öl deiner Barmherzigkeit. Durchbohre mich mit den Pfeilen deiner heiligen Liebe. Nimm mich in die Zahl deiner Jüngerinnen auf. Zeige dich mir und vereinige mich mit dir«.
Mitten in diesem Gebet, da ich eben diese Worte sagte, die mir innerlich eingegeben und gleichsam vorgesprochen wurden — denn ich selber wusste nicht, was ich sagte, verstand auch den Sinn dieser Worte nicht, noch auch die darin enthaltenen Geheimnisse, allein ich war genötigt und gezwungen, sie zu sprechen und dieses tat ich mit einer gewaltigen Heftigkeit, dass mich dünkte, jedes Wort wäre ein scharfer, spitziger Pfeil, um bis in Gottes Herz hineinzudringen — wie ich nun mitten in diesem Gebet lag und mich abgemüht und abgequält hatte, da wurde ich in einem Augenblick auf den höchsten Boden des Hauses geführt und wusste doch nicht wie, sondern ich fand mich da, ob ich gleich vorhin nicht daran gedacht hatte.
Da warf ich mich auf die Erde, weil ich mich nicht mehr halten und tragen konnte, so sehr war ich in aller äusserste Angst und Not gebracht. Und siehe, in dem selben Augenblick ließ Gott im Grunde meines Herzens einen Strahl seines göttlichen Lichtes leuchten, durch den er sich mir oflfenbarte und mir klar zu erkennen gab, dass der, nach dem ich so sehr verlangt hatte, in mich einging und mich in völligen Besitz nahm. Wie mir diese grosse Gunst widerfuhr, fand ich mich wie mit einem Licht ganz umkleidet und umgeben. Anfangs überfiel mich ein Entsetzen, aber es währte nur einen Augenblick, denn sogleich wurde mein Herz wieder in Sicherheit gesetzt und dergestalt verändert, dass ich mich selber nicht mehr kannte, und ich fühlte eine solche Sättigung aller Begierde, dass ich nicht wusste, ob ich im Himmel oder auf Erden war. Ich blieb einige Zeit unbeweglich wie ein gehauenes Bild, sodass ich mich nicht regen konnte. Und von dieser Zeit an waren alle Kräfte meiner Seele so erfüllt und vergnügt und in allen meinen Sinnen war ein so grosser Friede, dass ich keineswegs zweifeln konnte, dass Gott sich nunmehr mit mir aufs Innigste vereinigt und verknüpft hatte, wie es bisher mein inbrünstiger Wunsch gewesen war. Und diese Wahrheit war in mir so unfehlbar gewiss, als hätte ich sie mit meinen eigenen Augen gesehen, denn das Licht, das mir damals mitgeteilt wurde, übertraf bei weitem alles, das man mit Augen sehen mag.
All mein Gut ist Gott allein, und weil er nunmehr durch seine grosse Barmherzigkeit und Güte ganz mein eigen ist, gleich wie ich ganz sein eigen bin, so ist es mir nicht mehr vonnöten, mich zu mühen, etwas von neuem zu erwerben. Ich habe weiter nichts zu tun, als in seinen Gütern zu ruhen; wie er in mir ruht, ruhe ich auch in ihm, weil ich ganz in ihn eingeschlossen und vernichtet bin. Da finde ich mich selber nicht mehr,und wenn ich sage:»Ich geniesse, ich liebe, ich besitze «, so bin ich es nicht mehr, die dieses empfängt, sondern seine Liebe ist meine Liebe, sein Reichtum ist mein Reichtum, sein Friede ist meine Ruhe, seine Wege sind meine Lust und mein Ergötzen und so ist es mit all seinen göttlichen Vollkommenheiten. Es gibt nunmehr nichts mehr, was ich verlangen könnte, denn ich bin mit Gütern ganz überhäuft, muss auch nicht mehr fürchten, sie zu
So brachte ich die ganze Passionszeit zu. Am Karfreitag aber ging ich in die Predigt. Da ich da noch keine Viertelstunde lang von den Leiden meines Heilands reden gehört hatte, war mein Herz schon von Schmerzen so gewaltig gerührt und durchbohrt, dass ich, weil ich nicht mehr bleiben konnte, gezwungen war, wegzugehen, ausFurcht, es möchte mir in Stücke zerspringen oder doch seine heftige Bewegung auf die eine oder die andere Weise offenbaren. Ich ging dann nach Hause, wo zur Zeit kein Mensch war. Da schloss ich mich ein und lief von einem Ort zum andern und rief, dass mir der Atem ausging, wie eine Rasende oder wie eine, die ganz ausser sich selbst ist. Hernach warf ich mich auf die Erde und schrie: »Gnade, Herr, Gnade!« Ich bat die ganze Himmelsschar um Beistand und beschwor alle Heiligen, mir zu helfen. Und mich zu Gott kehrend, sagte ich zu ihm mit flammender Inbrunst: »O mein Herr und mein Gott, siehe der Tag ist gekommen, da ich ganz dein sein muss. Reinige und wasche mich in deinem teuren Blut. Salbe mein Herz mit dem Öl deiner Barmherzigkeit. Durchbohre mich mit den Pfeilen deiner heiligen Liebe. Nimm mich in die Zahl deiner Jüngerinnen auf. Zeige dich mir und vereinige mich mit dir«.
Mitten in diesem Gebet, da ich eben diese Worte sagte, die mir innerlich eingegeben und gleichsam vorgesprochen wurden — denn ich selber wusste nicht, was ich sagte, verstand auch den Sinn dieser Worte nicht, noch auch die darin enthaltenen Geheimnisse, allein ich war genötigt und gezwungen, sie zu sprechen und dieses tat ich mit einer gewaltigen Heftigkeit, dass mich dünkte, jedes Wort wäre ein scharfer, spitziger Pfeil, um bis in Gottes Herz hineinzudringen — wie ich nun mitten in diesem Gebet lag und mich abgemüht und abgequält hatte, da wurde ich in einem Augenblick auf den höchsten Boden des Hauses geführt und wusste doch nicht wie, sondern ich fand mich da, ob ich gleich vorhin nicht daran gedacht hatte.
Da warf ich mich auf die Erde, weil ich mich nicht mehr halten und tragen konnte, so sehr war ich in aller äusserste Angst und Not gebracht. Und siehe, in dem selben Augenblick ließ Gott im Grunde meines Herzens einen Strahl seines göttlichen Lichtes leuchten, durch den er sich mir oflfenbarte und mir klar zu erkennen gab, dass der, nach dem ich so sehr verlangt hatte, in mich einging und mich in völligen Besitz nahm. Wie mir diese grosse Gunst widerfuhr, fand ich mich wie mit einem Licht ganz umkleidet und umgeben. Anfangs überfiel mich ein Entsetzen, aber es währte nur einen Augenblick, denn sogleich wurde mein Herz wieder in Sicherheit gesetzt und dergestalt verändert, dass ich mich selber nicht mehr kannte, und ich fühlte eine solche Sättigung aller Begierde, dass ich nicht wusste, ob ich im Himmel oder auf Erden war. Ich blieb einige Zeit unbeweglich wie ein gehauenes Bild, sodass ich mich nicht regen konnte. Und von dieser Zeit an waren alle Kräfte meiner Seele so erfüllt und vergnügt und in allen meinen Sinnen war ein so grosser Friede, dass ich keineswegs zweifeln konnte, dass Gott sich nunmehr mit mir aufs Innigste vereinigt und verknüpft hatte, wie es bisher mein inbrünstiger Wunsch gewesen war. Und diese Wahrheit war in mir so unfehlbar gewiss, als hätte ich sie mit meinen eigenen Augen gesehen, denn das Licht, das mir damals mitgeteilt wurde, übertraf bei weitem alles, das man mit Augen sehen mag.
All mein Gut ist Gott allein, und weil er nunmehr durch seine grosse Barmherzigkeit und Güte ganz mein eigen ist, gleich wie ich ganz sein eigen bin, so ist es mir nicht mehr vonnöten, mich zu mühen, etwas von neuem zu erwerben. Ich habe weiter nichts zu tun, als in seinen Gütern zu ruhen; wie er in mir ruht, ruhe ich auch in ihm, weil ich ganz in ihn eingeschlossen und vernichtet bin. Da finde ich mich selber nicht mehr,und wenn ich sage:»Ich geniesse, ich liebe, ich besitze «, so bin ich es nicht mehr, die dieses empfängt, sondern seine Liebe ist meine Liebe, sein Reichtum ist mein Reichtum, sein Friede ist meine Ruhe, seine Wege sind meine Lust und mein Ergötzen und so ist es mit all seinen göttlichen Vollkommenheiten. Es gibt nunmehr nichts mehr, was ich verlangen könnte, denn ich bin mit Gütern ganz überhäuft, muss auch nicht mehr fürchten, sie zu
verlieren, denn sie gehören ihm allein, meiner Liebe und meinem Alles. Ich aber besitze sie nicht
mehr mit Eigenheit, so dass ich nicht zu fürchten habe, dass sie mir genommen werden könnten.
Jetzt ist Gott alles, ich aber bin nicht mehr, ich bin durch sein Erbarmen wieder dahin gekommen, woraus ich gegangen war. Er allein, und nicht mehr ich selbst, lebt und regiert in mir, denn ich bin nicht mehr in mir selber, sondern in ihm, wo ich mich nicht mehr finde, sondern mich verloren habe. Er ist es allein, der sich selber das Leben gibt, denn ich sehe nun nichts mehr, das nicht er selber wäre...
O Liebe! O unendliche Güte! Ich kann dir nicht mehr entfliehen, du läufst mir allenthalben voran und ich finde dich allenthalben. Ich sehe dich jetzt nicht mehr durch eine Wolke, ich sehe dich ganz klar und offenbar, ohne Decke oder Vorhang. Nun ist nichts mehr zwischen dir und mir. Was willst du, dass ich tun soll, und wie werde ich künftighin auf Erden leben können, bei dieser großen Helligkeit und diesem großen göttlichen Feuer, das mich verzehrt? Niemals habe ich mich in solch einem Zustande befunden. Die übermässige Gewalt, die ich fühle, übertrifft alles Übermass und ich weiss nicht mehr, wohin ich mich wenden, noch was ich sagen soll, nur dies, dass die Liebe mich überall aus mir selber hinwegführt und überall mich überwindet.
Seit dem Fest meiner heiligen Mutter habe ich meine Seele von allen Dingen los und frei gesehen, so rein, so einsam, so abgeschieden, dass es scheint, ais wohne sie nicht mehr in meinem Leibe, der wie mich dünkt nichts anderes sucht, als der Seele wie unempfindlich zu folgen. Ich habe keine Gedanken noch irgend etwas mehr, das mich aufhielte oder beschäftigte, wie es sonst gemeiniglich geschieht. Das Wesen und die Unermesslichkeit Gottes ist der einzige Gegenstand, der meine Seele auf eine unbegreifliche Weise durchdringt und verzehrt und durch dieses Ver-
zehren sie dergestalt ausbreitet, dass ich kein Ziel und Ende davon sehen kann. Zuvor wollte ich alles tun und alles angreifen, aber jetzt ist es ganz anders mit mir, denn nichts nähert sich mir mehr. Ich begreife alles und werde von nichts begriffen. Meine Seele ist einsam, einfältig und rein, und wenn ich sie so sehe, sehe ich ein grosses Wunder. Wenn dieses noch einige Zeit in mir währt, ich glaube, ich werde darüber sterben müssen. Ich gehe und wirke im Äusseren nach meiner Gewohnheit, ohne dieses Schauen zu verlieren, aber mein Gott nimmt es mir zuweilen und lässt zu, dass mir einige Gedanken ins Gemüt kommen, die mich davon abwenden, sonst wäre ich schon gestorben. Die Liebe, die mich verzehrt, kann niemand aussprechen, niemand verstehen. Sie ist unendlich und wächst dennoch alle Tage mehr und mehr.“
Auszug aus: Buber, Martin, 1878-1965. „Ekstatische Konfessionen : gesammelt.“ Jena : Eugen Diederichs, 1909.
Jetzt ist Gott alles, ich aber bin nicht mehr, ich bin durch sein Erbarmen wieder dahin gekommen, woraus ich gegangen war. Er allein, und nicht mehr ich selbst, lebt und regiert in mir, denn ich bin nicht mehr in mir selber, sondern in ihm, wo ich mich nicht mehr finde, sondern mich verloren habe. Er ist es allein, der sich selber das Leben gibt, denn ich sehe nun nichts mehr, das nicht er selber wäre...
O Liebe! O unendliche Güte! Ich kann dir nicht mehr entfliehen, du läufst mir allenthalben voran und ich finde dich allenthalben. Ich sehe dich jetzt nicht mehr durch eine Wolke, ich sehe dich ganz klar und offenbar, ohne Decke oder Vorhang. Nun ist nichts mehr zwischen dir und mir. Was willst du, dass ich tun soll, und wie werde ich künftighin auf Erden leben können, bei dieser großen Helligkeit und diesem großen göttlichen Feuer, das mich verzehrt? Niemals habe ich mich in solch einem Zustande befunden. Die übermässige Gewalt, die ich fühle, übertrifft alles Übermass und ich weiss nicht mehr, wohin ich mich wenden, noch was ich sagen soll, nur dies, dass die Liebe mich überall aus mir selber hinwegführt und überall mich überwindet.
Seit dem Fest meiner heiligen Mutter habe ich meine Seele von allen Dingen los und frei gesehen, so rein, so einsam, so abgeschieden, dass es scheint, ais wohne sie nicht mehr in meinem Leibe, der wie mich dünkt nichts anderes sucht, als der Seele wie unempfindlich zu folgen. Ich habe keine Gedanken noch irgend etwas mehr, das mich aufhielte oder beschäftigte, wie es sonst gemeiniglich geschieht. Das Wesen und die Unermesslichkeit Gottes ist der einzige Gegenstand, der meine Seele auf eine unbegreifliche Weise durchdringt und verzehrt und durch dieses Ver-
zehren sie dergestalt ausbreitet, dass ich kein Ziel und Ende davon sehen kann. Zuvor wollte ich alles tun und alles angreifen, aber jetzt ist es ganz anders mit mir, denn nichts nähert sich mir mehr. Ich begreife alles und werde von nichts begriffen. Meine Seele ist einsam, einfältig und rein, und wenn ich sie so sehe, sehe ich ein grosses Wunder. Wenn dieses noch einige Zeit in mir währt, ich glaube, ich werde darüber sterben müssen. Ich gehe und wirke im Äusseren nach meiner Gewohnheit, ohne dieses Schauen zu verlieren, aber mein Gott nimmt es mir zuweilen und lässt zu, dass mir einige Gedanken ins Gemüt kommen, die mich davon abwenden, sonst wäre ich schon gestorben. Die Liebe, die mich verzehrt, kann niemand aussprechen, niemand verstehen. Sie ist unendlich und wächst dennoch alle Tage mehr und mehr.“
Auszug aus: Buber, Martin, 1878-1965. „Ekstatische Konfessionen : gesammelt.“ Jena : Eugen Diederichs, 1909.