Aus der Philothea von Franz von Sales / erster Teil / 9. Kapitel
Vorbereitung
Versetze dich in Gottes Gegenwart. Bitte ihn um sein Licht.
Erwägungen.
1. Es ist noch nicht lange her, da warst du noch nicht auf der Welt, warst in Wahrheit nichts. Wo
waren wir damals, meine Seele? Die Welt existierte schon lange - und man hatte von uns noch
nichts gehört.
2. Gott hat dich aus diesem Nichts hervorgehen lassen, um dich zu dem zu machen, was du bist,
ohne daß er dich gebraucht hätte, einzig durch seine Güte.
3. Betrachte die Natur, die Gott dir gegeben: Sie ist die volkommenste der sichtbaren Welt, befähigt
zum ewigen Leben und zur vollkommenen Vereinigung mit der göttlichen Majestät.
Affekte und Entschlüsse.
1. Demütige dich tief vor Gott! Sprich von Herzen mit dem Psalmisten: "Herr, vor Dir bin ich in
Wahrheit nichts" (Ps 39,6). "Wie hast Du doch meiner gedacht, mich zu erschaffen?" (Ps 8,5).
Meine Seele, du warst versunken im Nichts; was wärest du in diesem Nichts?
2. Danke Gott! Mein erhabener und gütiger Schöpfer, wieviel Dank schulde ich Dir, daß Du mich
aus dem Nichts gezogen hast, um mich durch Deine Barmherzigkeit zu dem zu machen, was ich
bin. Was kann ich nur tun, um Deinen Namen würdig zu preisen und Deiner unermeßlichen Güte
gebührend zu danken?
3. Schäme dich! Mein Schöpfer, statt Dir meine Liebe und meinen Dienst zu schenken, habe ich
mich gegen Dich aufgelehnt. Ich hing ungeordneten Neigungen an, trennte und entfernte mich von
Dir, um der Sünde nachzulaufen. So wenig habe ich Deine Güte geehrt, als ob Du gar nicht mein
Schöpfer wärest.
4. Demütige dich vor Gott! Wisse, meine Seele, daß Gott dein Herr ist; Er hat dich erschaffen, nicht
du hast dich selbst gezeugt (Ps 100,3). O Gott, ich bin das Werk Deiner Hände (Ps 138,8)!
5. Da ich also nichts bin, will ich mich nicht mehr selbstgefälligen Gedanken überlassen. - Wessen
willst du dich denn rühmen, Staub und Asche? Ein wahres Nichts bist du; womit kannst du dich
brüsten? (Sir 10,9). - Ich will mich demütigen und dies und jenes tun, diese oder jene Verachtung
ertragen. Ich will mir der Ehre bewußt sein, daß er mir die menschliche Natur geschenkt hat, und sie
ausschließlich zur Erfüllung seines Willens gebrauchen; dazu will ich mich aller Mittel bedienen,
die mein Seelenführer anraten wird.
Schluß.
1. Dank: Meine Seele preise den Herrn und mein Herz lobe seinen heiligen Namen (Ps 102,1), denn
seine Güte hat mich aus dem Nichts gezogen, seine Barmherzigkeit hat mich erschaffen.
2. Aufopferung: Mein Gott, ich opfere Dir das Sein auf, das Du mir gegeben; ich schenke und
weihe Dir mein Herz.
3. Bitte: Gott, stärke meine Empfindungen und Entschlüsse. Vater unser. Nach der Betrachtung geh ein wenig auf und ab. Pflücke einen kleinen Blumenstrauß aus deinen
Erwägungen, an dem du dich tagsüber erquicken kannst.