Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen. Auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen. Und ich will Wunderzeichen geben am Himmel und auf Erden: Blut, Feuer und Rauchdampf. Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des HERRN kommt. Und es soll geschehen: Wer des HERRN Namen anrufen wird, der soll errettet werden. Joel 3



Die drei Grade der Vollendung

Um die Beschreibung der drei Grade der Vollendung durch Jesus nicht zu sehr aus dem Kontext zu nehmen hier nun einige einleitende vorausgehende sowie auch noch einige nachfolgende Kapitel.
Liest man alle Kapitel erklärt sich natürlich der Gesamtzusammenhang am besten. Fehlt einem allerdings die Zeit, so kann der interessierte Leser auch direkt ab Kapitel 155 lesen.


Empfabgen durch Jakob Lorber  |  Großes Evangelium Johannes Band 7.144 - 158

144. [144,01] Als sie (die vier Pharisäer) des Nikodemus ansichtig wurden, gingen sie sogleich auf ihn zu und redeten ihn also an: „Da du wußtest, daß wir dich heute nachmittag in einer wichtigen An- gelegenheit besuchen würden, so hättest du uns ehrgebührlichermaßen daheim im Hause erwarten können! Doch dieweil wir wohl sehen, daß du eine große Menge fremder Gäste um dich hast, denen du hier offenbar einen frohen Nachmittag bereiten willst, so wollen wir dich denn vor uns auch für entschuldigt halten. Wer sind aber alle die vielen Fremden? Die andern, die von hier, von Jerusalem und von der Umgegend hier sind, die kennen wir wohl; aber wer und woher sind die vielen Fremden? Gibt es heute hier in Emmaus ein Fest, von dem uns nichts angezeigt worden ist?“
[144,02] Sagte Nikodemus: „Es gibt hier hohe Römer, Griechen, Ägypter und Indier, die heute in meiner Herberge angekommen sind, und die ich nun alle auf diesen meinen Lieblingshügel geführt habe, damit sie da an diesem schönen Tage die Aussicht genießen und sich in dieser freien Luft erheitern können. Wollt ihr aber noch ein mehreres wissen, so redet selbst mit ihnen; denn sie sind aller Zungen kundig!“

[144,03] Hier trat Agrikola vor und sagte: „So ihr schon als Spione des Tempels hierher gekommen seid, da liegt es euch auch sicher sehr am Herzen, hier soviel als nur immer möglich Neues und Außerordentliches zu erfahren, und das sollet ihr auch!
[144,04] Sehet, ich, der ich hier nun mit euch rede, heiße Agrikola, bin aus Rom und ein erster Diener des Kaisers und bin versehen mit aller Vollmacht! Ich kann nun im Namen des Kaisers alles mögliche anordnen und verfügen, und es muß geschehen, was ich im Namen des Kaisers gebiete. Die, die da hinter uns uns umgeben, sind meine Begleiter und auch mächtige Diener des Kaisers. Meine beiden Freunde hier, Agrippa und Laius, kennet ihr ohnehin. Da hinter der Felsengruppe sehet ihr etliche hundert junge Menschen beiderlei Geschlechts; die gehören zu Meiner Leibgarde, und die andern Männer halte ich ebenfalls zu meinem Schutz. Da vorn sehet ihr drei Weise aus Indien, deren großes Gefolge in der Nähe der Stadt untergebracht ist; auch diese gehören nun zu mir. Dahier ist ein Jüngling, der mit seinem Willen mehr vermag als alle Mächte der Erde. Und hier gleich neben uns stehen eben dieselben wundermächtigen Oberägypter, von deren Kraft euch gestern mittag die beiden Römer ganz sonderbare Dinge erzählt haben; sie kamen, die beiden Römer hier zu besuchen. [144,05] Und so wisset ihr nun, unter welcher Gesellschaft ihr euch befindet, und wer und woher wir sind, und was wir vermögen. Wollet ihr aber die merkwürdigen und vollkommenen Menschen selbst näher kennenlernen, so wendet euch an sie selbst; denn denen kann und darf ich nichts gebieten, weil sie selbst völlig Herren sind und alle Macht in ihrem Willen haben. Ich habe nun geredet, und nun kommt die Reihe wieder an euch!“ 
[144,06] Darauf sahen die beiden Pharisäer nach der Hütte, die zuoberst der Felsengruppe erbaut war, und fragten Nikodemus, wer denn in der Hütte sich befände. 
[144,07] Nikodemus aber sagte: „Es steht geschrieben, daß es nicht gut sei, wenn der Mensch um gar alles wisse, und so könnet ihr diesen Grundsatz nun auch bei euch in Anwendung bringen, wenn es euch darum zu tun ist, diese höchsten Römer nicht wider euch zu erbittern; denn soviel ich aus ihren Worten entnommen habe, so steht der Tempel eben nicht im besten Ansehen bei ihnen.“
[144,08] Auf diese Antwort fragten die Pharisäer nicht mehr, wer sich etwa in der Hütte befände. Aber sie wandten sich nun an den ersten der sieben Oberägypter und fragten ihn, ob er wohl derselbe Mensch wäre, von dem ihnen gestern die beiden Römer so wunderbare und kaum glaubliche Dinge erzählt hätten.
[144,09] Sagte der Oberägypter mit gar kräftiger Stimme: „Ja! Was wollet ihr von mir, ihr jedes Funkens des göttlichen Geistes bare Verfolger aller jener Menschen, die vom Geiste Gottes erfüllt waren und den anderen Menschen die Wege der lichten und lebendigen Wahrheit gezeigt haben? Redet, was ihr von mir wollet, das ich euch tun soll!“
[144,10] Diese sehr ernste Sprache des Oberägypters wollte den beiden hohen Pharisäern eben nicht am besten behagen. Sie dachten nun nach, ob es rätlich wäre, ihn um die Wirkung eines Zeichens anzugehen.
[144,11] Nach einer Weile erst sagten sie zum Oberägypter (die Pharisäer): „Lieber Mann, wir haben dich nur bitten wollen, ob es dir nicht genehm wäre, auch hier vor uns ein Zeichen, hervorgehend aus der Macht deines Glaubens und Willens, zu wirken. Denn wenn wir von dir schon so Wunderbares von glaubwürdigen Zeugen vernommen haben und du selbst nun hier zugegen bist, da möchten wir uns denn auch von deiner inneren Macht eine tatsächliche Überzeugung verschaffen. Wirke darum ein Zeichen vor uns!“
[144,12] Sagte der Oberägypter: „Ja, ja, ich werde wohl eins wirken; aber ihr müsset mir zuvor kundgeben, aus welchen wichtigen Gründen – wie ihr selbst das gleich anfangs dem Nikodemus eröffnet habt – ihr mit euren Gehilfen heute hierher gekommen seid, da ihr des morgigen Sabbats wegen doch daheim hättet bleiben sollen, um für den morgigen Tag allerlei Vorbereitungen zu treffen, weil ihr an eurem Sabbat nichts tun dürfet. Saget mir den wichtigen Grund eurer heutigen Hierherkunft nur ganz klar und wahr heraus, und ich werde euch dann ein Zeichen wirken; aber kommt mir ja mit keiner Lüge! Denn so ihr mir mit einer Lüge kommt, da werde ich euch auch ein Zeichen wirken, – aber nicht zu eurem Heile, sondern zu eurem Verderben!“
[144,13] Sagte darauf der eine Pharisäer: „Ich sehe es schon, daß man mit dir nicht hinterhältig reden kann, und so scheue ich mich auch gar nicht, hier die volle Wahrheit offen auszusprechen.
[144,14] Sieh, in Galiläa, das auch den Juden gehört und unter Jerusalem steht, ist ein Prophet aufgestanden, der wirkt auch allerlei Zeichen und streut eine neue Lehre aus wider den Tempel und wider uns! Er verführt das Volk und wiegelt es gegen uns auf. Ja, wir wissen es, daß er sich für einen Sohn Gottes ausgibt, sich als den verheißenen Messias anpreisen läßt und uns, die wir bei der alten Lehre Mosis sind, allenthalben feindlichst begegnet. Wir aber wissen es nur zu gut, daß er der Sohn eines alten Zimmermanns ist, der samt seinem Weibe ein ganz natürlicher Mensch war. Weil der erwähnte Prophet uns aber allenthalben verfolgt, so ist es hoffentlich auch ganz in der Ordnung, daß auch wir ihn verfolgen und nach ihm fahnden.
[144,15] Wir aber haben durch einige unserer ausgesandten Kundschafter noch in der vergangenen Nacht erfahren, daß er sich mit seinen vielen Jüngern nun noch in der Gegend von Jerusalem herumtreibe und sein uns feindliches Wesen treibe, was uns durchaus nicht gleichgültig sein kann. Man versicherte uns, daß Nikodemus, als unser Amtsgenosse, sichere Kunde von seinem Aufenthalte habe, und wir sind eben darum herausgekommen, um uns darüber mit Nikodemus zu besprechen und zu beraten, wie sich diese Sache verhalte, und was da Rechtens zu machen sei. Das, sieh, ist der ganz wichtige Grund, aus dem wir herausgekommen sind!“
[144,16] Sagte mit sehr ernster Miene der Oberägypter: „Was würdet ihr denn dann mit dem Propheten machen, so er sich von euch irgend fangen ließe?“
[144,17] Sagte der Pharisäer: „Wir würden ihn sofort dem Gerichte überantworten, strenge untersuchen lassen und wider ihn zeugen und ihm bezeigen, welcher Verbrechen er sich gegen uns schuldig gemacht hat. Hat er zu gewaltig gegen uns, gegen den Tempel und gegen die Satzungen verstoßen – wovon wir zum größten Teile schon völlig überzeugt sind –, so müßte er offenbar nach dem Gesetze zum Tode verdammt werden.“

145. Kapitel
[145,01] Sagte der Oberägypter: „Seht, ich bin möglichst ein noch ganz vollkommener Naturmensch und besitze noch jene Gaben von Gott aus, durch die der Mensch als der Schluß- und Vollendungspunkt der ganzen Schöpfung zum eigentlichen Herrn der ganzen Natur, ihrer Geister und Elemente wird, und ich vermag vieles und weiß um alle menschlichen, tierischen, pflanzlichen und mineralischen Dinge der ganzen Erde, von ihrer Entstehung bis zu ihrer einstigen gänzlichen Vernichtung hin, und kenne sogar alle eure moralischen, theosophischen und staatlichen Verhältnisse und verstehe auch alle Zungen, sogar die der Tiere, ohne sie je aus irgendeiner Schrift gelernt zu haben; denn alles das lehrte mich mein Geist, der mir von Gott gegeben wurde, schon in meinem neunzehnten Jahre. 
[145,02] Und somit kann ich euch sagen, daß ihr selbst euren Moses schon seit lange her vollkommen zerstört habt und habt aus zu großem Hange, über eure Nebenmenschen zu herrschen, und aus zu großem Hange zur Trägheit, zum Wohlleben und zur Hurerei und Ehebrecherei euch selbst Satzungen gemacht, durch die ihr eure Nebenmenschen quälet und peiniget. Ihr leget ihnen unerträgliche Bürden auf, die ihr selbst mit keinem Finger um Gottes willen anrühret, weil ihr bei euch an keinen Gott mehr glaubet. Denn glaubtet ihr noch an einen Gott, wie einst euer Stammvater Abraham geglaubt hat, so hättet ihr Mosis Gesetze sicher nicht zerstört, seine ihm von Gott gegebenen Gesetze nicht verdreht und nicht mit Steinen getötet die Propheten, die Gott unter euch erweckt hatte, damit sie euch allzeit anzeigeten, wie weit ihr von Seinen Wegen abgewichen seid.
[145,03] Nun ist wahrlich der höchste und für euch auch der letzte Prophet gerade in der Zeit aufgestanden, wie sie euch durch eure Propheten geweissagt ward. Er lehrt die Wahrheit und zeigt euch, daß ihr nicht mehr Kinder Gottes, sondern Kinder des Teufels seid infolge eurer großen und groben Sünden gegen den Willen Gottes. Das erfüllt euch wohlbegreiflichermaßen mit Grimm und Wut gegen Ihn, und ihr trachtet, Ihn darum zu fangen und zu töten.
[145,04] Ich als ein fremder Weiser aber sage es euch, daß auf Seine Zulassung ihr solches auch noch zur Ausführung bringen könnet und nach eurem ganz grundbösen Willen auch werdet. Aber ihr werdet nur Seinen Leib auf drei Tage lang zerstören; aber Sein ewiger und allmächtiger Geist, den ihr nicht mit dem Leibe werdet zerstören können, wird Ihn wieder, und das schon in drei Tagen, erwecken. Dann wohl allen, die an Ihn geglaubt haben; aber tausendfaches Wehe euch argen Heuchlern, Betrügern und Bedrückern der Menschen!
Es wird mit euch geschehen, was euch in der vorgestrigen Nacht am Firmament gezeigt ward! – Habt ihr mich verstanden?“
[145,05] Sagte mit einem ganz erbosten Gesichte der Pharisäer: „Wie wagst du, ein Fremdling, uns solches ins Gesicht zu sagen?! Kennst du unsere Macht? Weißt du bei deiner Allwissenheit unsere Macht nicht?“
[145,06] Sagte der Oberägypter: „Ich sagte euch das aus eben dem Grunde, weil ich die volle Nichtigkeit eurer und die vollste Wahrheit meiner Macht, die vor tausendmal tausend Kriegern nicht beben würde, nur zu klar und zu wohl kenne! Ich sagte euch nur die Wahrheit. Warum wollet ihr sie zu eurem noch immer möglichen Heile nicht hören? Weil ihr nicht mehr Kinder Gottes, sondern Kinder eures höchsteigenen Teufels seid! Darum ärgert euch nun das, was ich euch gesagt habe, und darum auch wollet ihr den Heiligen Gottes töten! Aber glaubet es mir, daß ich wirklich keine Furcht vor euren zornglühenden Gesichtern habe; den Grund davon soll euch gleich ein von mir zu wirkendes Zeichen aufdecken! Sehet ihr da oben hoch in den Lüften mehrere Riesenadler umherschweben?“
[145,07] Die Pharisäer und auch die Leviten sahen empor und erblickten auch gleich zwölf dieser gefürchteten Riesenadler, und ein Pharisäer sagte: „Und was sollen diese Tiere bedeuten?“
[145,08] Sagte der Ägypter: „Diese Tiere habe ich eben zu dem Behufe hierher gerufen, um euch zu zeigen, wie ein vollkommener Mensch ein Herr der gesamten Natur ist. Ich rufe sie aber nun auch sogleich alle herab, damit ihr sie in eurer vollen Nähe genauer beobachten könnet!“
[145,09] Hierauf machte der Ägypter mit seiner rechten Hand nur einen Zug, und die Riesenadler schossen wie Pfeile herab und umstellten die Templer. Diese erschraken gewaltig und baten den Ägypter, daß er diesen gar wild und grimmig sich gebärdenden Tieren denn auch gebieten solle, daß sie ihnen nichts zuleide täten!“
[145,10] Sagte der Ägypter: „Fürchtet ihr euch schon gar so gewaltig vor diesen Tieren? Wie kommt es denn, daß ihr Den, nach dem ihr fahndet, und der endlos mehr vermag denn ich, nicht fürchtet?
[145,11] Seht, wie gar entsetzlich blind, dumm und blöde ihr seid und dadurch auch im höchsten Grade böse und rachgierig! Ein wahrhaft Weiser ist das nie; er wird den Narren ihre Unart wohl strenge verweisen und sie erst dann in ein sie züchtigendes Gericht stürzen, wenn sie schon einmal so verstockt, arg und böse geworden sind, daß ihnen zu ihrer Besserung mit keiner Vernunft mehr beizukommen ist, wie das bei euch Templern vollkommen der Fall ist. Was könnte mir denn geschehen, so ich euch nun von diesen mir sehr gehorsamen Tieren zerfleischen ließe? Ich sage es euch: nicht das Geringste!
[145,12] Ihr meinet freilich, daß ich mit euch vieren bald fertig würde, – aber was dann, wenn ein bewaffnetes Heer mich umringte und mit scharfen Pfeilen nach mir schösse? Dann würde ich mit dem ganzen Heere das machen, was ich nun, um euch einen Beweis zu liefern, bloß mit meinem Willen auf einige Augenblicke mit euch machen werde und nun schon gemacht habe! Versuchet nun, weiterzugehen oder von euren Händen Gebrauch zu machen! Nur eurer Zunge lasse ich die volle Freiheit, sonst aber gleichet ihr der Salzsäule, zu der Lots Weib durch ihren Ungehorsam geworden ist.“
[145,13] Hierauf versuchten die viere, die Füße vom Boden zu heben und die Hände zu bewegen, was aber unmöglich war. Daher baten sie den Ägypter inständigst, daß er sie von diesem qualvollsten Zustande befreien möchte; denn sie seien gesonnen, ihre Gesinnung zu ändern.
[145,14] Sagte der Ägypter: „Das werdet ihr schwerlich; aber ich lasse euch dennoch frei!“
[145,15] Hier konnten sie wieder ihre Füße und Hände frei bewegen, und der eine Pharisäer sagte: „Weil dir solch eine unbegreifliche Macht eigen ist, so könntest du ja schon lange irgendein allermächtigster Herrscher über die ganze Welt werden. Wer könnte dir einen Widerstand leisten?“
[145,16] Sagte der Ägypter: „Ich bin aber kein blinder Weltnarr, wie ihr es seid; mir liegt alles nur an der wahren Erkenntnis des einen, wahren Gottes, an Seiner lebendigen Gnade und Liebe, und daß ich genau erkenne den heiligen Willen des ewigen Vaters, um strenge nach demselben zu handeln, – und seht, das ist endlos mehr denn alle Schätze der Erde!
[145,17] Würdet ihr als sein sollende Priester auch dasselbe tun, so würde euch das mehr nützen denn all euer vieles Gold und Silber und alle eure Edelsteine.
[145,18] Solange euer einstiger König Salomo nicht auf einem goldenen Throne saß und goldene Gemächer bewohnte, war er weise, und in seinem Willen lag eine große Macht; als er aber bald nachher mit des Goldes Glanz umgeben war, verlor er Weisheit und Macht und fiel aus der großen Gnade Gottes. Was nützten dann dem Schwächlinge seine unermeßlichen Weltschätze, so er am Ende sogar am Dasein Gottes zu zweifeln begann?! 

[145,19] Aber Salomo war bei allen seinen Zweifeln in seiner letzten Zeit dennoch um vieles besser, als ihr nun seid. Seine Pracht- und seine große Weibergier also haben Salomo dem Herrn mißfällig gemacht, weil Salomo Seiner nicht achtete, obschon Er ihm zweimal erschienen war, mit ihm geredet hatte und ihn warnte, je von Seinen Wegen abzuweichen. Die Folge davon war, daß sein großes Reich geteilt und seinem Sohne nur das kleine Gebiet um Jerusalem belassen wurde; und selbst diese Gnade wurde dem Salomo nur um seines Vaters David willen erteilt. Euch aber wird gar keine Gnade mehr erteilt werden, sondern ihr werdet untergehen im Pfuhle eurer zahllos vielen Sünden und eurer gänzlichen Unverbesserlichkeit!“

146. Kapitel
[146,01] Sagte der eine Pharisäer: „Wie kannst du denn das von uns so bestimmt behaupten? Warum sollen denn wir, so wir denn schon gar so große Sünder sein sollen, uns nicht auch bessern können? Laßt uns nur die volle Wahrheit sehen und erkennen, daß der Prophet aus Galiläa im Ernste das Heil der Juden ist, und wir wollen an ihn glauben!“ 

[146,02] Sagte der Ägypter, auf die zwölf Adler hindeutend: „Da sehet hin! Diese wilden Raubvögel werden eher an Ihn glauben denn ihr! Hat Er denn nicht schon zu öfteren Malen bei euch im Tempel gelehrt, und hat Er nicht vor euren Augen die größten Zeichen gewirkt? Warum glaubtet ihr Ihm denn nicht?! Je mehr Er lehrte, und je größere Zeichen Er wirkte, desto mehr stieg euer Zorn und eure Rachgier gegen Ihn! Wenn aber das bei euch unbestreitbar der Fall ist, wie könnet ihr da sagen, daß ihr das nur tut, um die volle Wahrheit zu erkennen und dessen gewiß zu werden, daß Er der Heilbringer für Israel ist, an den ihr glauben würdet? Ich aber frage euch, wer in der Welt Ihn euch wohl noch besser soll kennen lehren als gerade Er Selbst. Glaubet ihr Ihm nicht, – wem wollet ihr dann glauben und euch darum bessern?“
[146,03] Sagte der Pharisäer: „Man glaubt oft einem Zeugen eines Propheten eher als dem Propheten selbst!“
[146,04] Sagte der Ägypter: „Auch an denen hattet ihr keinen Mangel; denn erstens zeugten von Moses an alle Propheten für Ihn, und dann habt ihr in dieser Zeit lebende Zeugen genug gehabt. Warum glaubtet ihr denn ihnen nicht? Sie haben Ihn vor euch verkündet, und ihr habt sie mit Steinen erschlagen, und dem letzten ließet ihr mit dem Beile den Kopf vom Leibe schlagen. Und ihr saget: ,Wir wollen den Zeugen eher glauben als dem Propheten selbst!‘ Wo der Meister nichts ausrichtet, was sollen da Seine schwachen Zeugen tun? 

[146,05] Ja, ja, vor mir habt ihr nun eine Höllenfurcht, weil ich als ein völlig Fremder euch gezeigt habe, was ein vollkommener Mensch vermag; aber vor dem ersten und größten Menschen, der ein Gott ist, habt ihr keine Furcht, weil Er euch nach Seiner unermeßlichen Liebe, Geduld und Erbarmung bis jetzt noch immer als Seine ersten Kinder behandelt hat. Aber ich sage es euch, daß ich als ein vollkommener Mensch das allereigentlichste Garnichts gegen Ihn bin; denn Er allein ist der Herr meines und eures Lebens und Heiles. Das ist und bleibt eine ewige Wahrheit.
[146,06] Euer Zorn und Grimm gegen Ihn wird sich ewig nicht mindern. Da sehet hier meine Tiere an! Sooft ich Seiner nur erwähne, neigen sie ihre Köpfe bis zur Erde hinab, – und in eurer Brust vermehrt sich dabei der unauslöschbare Groll! Diese Tiere beschämen sonach eure Weisheit und Würde; ihr aber sinket stets tiefer in den Pfuhl eures Verderbens hinab. Und ihr saget noch, daß ihr euch bessern könntet, so ihr die Wahrheit erkennen würdet? Wie kann aber ein Blinder das Licht schauen und begreifen, so in ihm kein Licht waltet und walten kann, weil er ein Stockblinder ist? Ebensowenig könnet ihr eine Wahrheit begreifen, weil in euch noch nie eine Wahrheit bestanden hat.
[146,07] Wer die Wahrheit fassen und begreifen will, der muß zuvor selbst aus der Wahrheit hervorgegangen sein. Ihr aber seid schon von euren Ureltern her Kinder der Lüge gewesen, – wie wollet ihr nun die größte und heiligste aller Wahrheiten auf einmal fassen und begreifen?! Kurz, ihr bleibet in euren alten Sünden und werdet auch den Lohn für eure Werke erhalten!“
[146,08] Hier fingen die Riesenadler an, um die Pharisäer sehr zweideutige Bewegungen zu machen, und diese bekamen große Angst und baten den Ägypter abermals, daß er vermitteln möchte, daß sie ihnen nichts zuleide täten.
[146,09] Sagte der Ägypter: „Wahrlich, euer elendes Fleisch wäre für diese edlen Tiere zu schlecht! Aber sehet, da unten weidet eine Herde Schafe bis zum Fuße dieses Hügels! Diese gehören einem gewissen Barabe, einem äußerst reichen Bürger von Jerusalem, der eine höchst arme Familie, die einst sogar in seinen Diensten stand, dort in jener schon sehr verfallenen Schafhütte vollends hat zugrunde gehen lassen. Er gab ihr wohl auf eine kurze Zeit das Recht, in jener schlechten Hütte zu wohnen; da aber ihre arge Krankheit zu lange andauerte und in dieser Zeit so arg wurde, daß für ihn gar keine Aussicht mehr vorhanden war, daß sie einmal sowieso enden werde, so wurde ihm die Sache zu langweilend und sogar sehr bedenklich, weshalb er denn auch unter dem Vorwande, daß jene Hütte wegen der Zunahme seiner Herden ganz neu in einen guten Zustand gebracht werden müsse, den Befehl gab, daß die arme Familie sich noch am heutigen Tage als halbtot aus der ohnehin elendsten Hütte zu entfernen habe. Oh, welch ein edler und barmherziger Sohn Abrahams, Isaaks und Jakobs!
[146,10] Da aber kam der allwissende und von euch so sehr verhaßte Prophet aus Galiläa zu der besagten höchst armen und gänzlich verlassenen Familie, deren Kinder nackt um Brot bettelten und keins bekamen, obschon dieser Ort der Brotbackofen von beinahe ganz Jerusalem ist, gab den Eltern durch Seinen allmächtigen Willen Gesundheit, dann Brot, Wein und eine ganz anständige und gute Bekleidung und führte sie durch jenen hohen Römer aus jener elendsten Herberge.
[146,11] Dort, inmitten der besagten hohen Römer, stehen die Eltern und ihre armen Kinder und sind nun schon bestens versorgt. Und sehet, das alles tat euer verhaßter Prophet! 

[146,12] Ihr als sein sollende Priester Gottes aber habt nun nichts Eifrigeres und Notwendigeres zu tun, als Tag und Nacht in eurer Räuberhöhle und Mördergrube von einem Gottestempel Rat zu halten, wie ihr diesen größten Wohltäter der armen Menschheit töten und vernichten könntet!
[146,13] Saget es selbst: Mit welchen reißenden Wald- und Wüstenbestien seid ihr da wohl zu vergleichen? Wahrlich, der Bürger Barabe ist elend und schlecht; aber ihr seid noch um viele tausend Male schlechter! Denn Barabe wird dem großen Propheten sogar noch dankbar sein, daß er ihm seine Hütte geräumt hat; doch in euch wächst der geheime Grimm nur noch mehr, weil euch der große Prophet zu unendlich in eurer nichtigsten Kraft, Macht und Erbarmung übertrifft! Und so soll nun der Barabe auch mäßiger gezüchtigt werden für seine große Unbarmherzigkeit!
[146,14] Da sehet die Riesenadler an! Sie sollen, weil ihr ihnen zur Speise – wie ich schon bemerkt habe – viel zu elend und schlecht wäret, sich an der Herde des gar so gutherzigen Barabe sättigen, und damit sie mit der Herde leichter fertig werden, so sollen sie von ebensoviel Wölfen und Bären unterstützt werden! Ich will es, und so geschehe es!“ 

[146,15] Als der Ägypter solches ausgesprochen hatte, da erhoben sich plötzlich die Riesenadler, stürzten sich hinab auf die unten weidenden Schafe, und ein jeder hob eins, es in seinen Krallen festhaltend, empor und flog damit den Bergen zu. Zugleich aber bemerkte man auch unten auf der Weide schon eine Menge Wölfe und Bären, durch die dann die ganze große Herde völlig zerstört und mit Gier aufgefressen wurde, – bei welcher Gelegenheit die Hirten wohl die eiligste Flucht ergriffen haben.
[146,16] Da schauten die vier Templer ganz verblüfft in das Tal hinab, und keiner getraute sich, sich darüber auch nur mit einem Worte weder dafür noch dawider zu äußern.

147. Kapitel
[147,01] Der Ägypter aber fragte sie, sagend: „Nun, wie gefallen euch zum Beispiel diese nun von mir gewirkten Zeichen?“
[147,02] Keiner getraute sich mehr, diesem Wundermann eine Antwort zu geben; denn sie hatten, ihrer Frevel sich bewußt, eine zu große Angst und Furcht vor ihm!
[147,03] Er aber sagte: „O ihr elenden Heuchler! Vor mir habt ihr nun wohl Furcht, weil ihr solches von mir gesehen und erfahren habt; aber Den suchet ihr zu fangen und zu töten, durch dessen allmächtigen Willen, den ich kenne, ich nun das alles gewirkt habe! O ihr elend blinden Narren! Wer ist denn mehr: der Herr oder der Knecht, der Meister oder der schwache Jünger? Bebet ihr nun vor mir schon so sehr, wie werdet ihr denn vor Seinem Angesichte bestehen?!“
[147,04] Sagten mit einer ganz verzagten Stimme die Pharisäer: „Ja, ja, du überaus mächtiger Mann, du hast nun ganz richtig und wahr gesprochen; aber wir können denn am Ende und im Grunde des Grundes doch nicht dafür, daß der Tempel sich gegen den Propheten aus Galiläa gar so feindlich stellt! Der Tempel mit seinen Einrichtungen ist ein noch immer weltlich mächtiger Strom; wir befinden uns inmitten dieses Stromes und können unmöglich gegen seine Wogen schwimmen! So aber schon der mächtige Prophet den Tempel nicht umwandeln mag oder will, was sollen dann wir ohnmächtigen Mitglieder desselben gegen ihn vermögen?! Ja, hätten wir deine uns unerklärliche Macht, da wollten wir den hohen Priesterrat bald umgestimmt haben; aber allein mit puren Worten ist das unmöglich. Wir können uns in der Folge höchstens einer Mitstimmung gegen den großen Propheten enthalten oder den Tempel auch verlassen, das heißt, wir können uns in ein mehr privates Leben mit unseren Mitteln zurückziehen, – aber umändern können wir den Tempel nicht, was du mit deiner wahrlich großen Weisheit gar wohl einsehen wirst. Aber du und noch mehr der große Prophet könntet den Tempel und seine Diener mit solchen Zeichen schon umändern; aber wir allein können das nicht.“
[147,05] Sagte der Ägypter: „Das, was ihr da zu eurer Entschuldigung nun vorgebracht habt, weiß ich nur zu gut; aber ich weiß auch, daß eben ihr, streng an der Seite eures Hohenpriesters, es seid und waret, die den eigentlichen Kern der grellsten Feindschaft gegen den größten Propheten, den je die Erde getragen hat, bildetet, – und das ist arg und böse von euch.
[147,06] Ich aber sage es euch nach der ewigen Weisheit Gottes in mir: Der große Meister, voll des Geistes Gottes und aller Seiner Kraft und Macht, will die Menschen nicht durch pure Zeichen, sondern vielmehr durch Seine reinste und weiseste Lehre auf den Weg des Lichtes und des Lebens setzen, weil die Zeichen die Menschen wohl nötigen, an Ihn und Sein Wort zu glauben, – aber sie verschaffen niemandem eine innere freie und lebendige Überzeugung von der großen Wahrheit; solange aber dem Menschen diese fehlt, die er sich nur durch das genaue Handeln nach der Lehre verschaffen kann, so lange ist er der Seele nach auch noch als ein Toter anzusehen. Denn der pure, blinde und genötigte Glaube gibt dem Menschen kein inneres, wahres Leben, sondern nur der lichtvolle und durch das Handeln lebendige Glaube, und dieser wird nie und nimmer durch äußere Wunderzeichen, sondern nur durch das lebendige Wort der ewigen Wahrheit aus Gott von jenem Menschen erreicht, der es als solche Wahrheit annimmt und danach tätig wird.
[147,07] Da aber das der große Meister aus Galiläa wohl am allerklarsten weiß und einsieht, was Seinen Menschen zum wahren Heile gereicht, so wirkt Er Selbst offen vor der Welt auch nur wenige Zeichen, sondern lehrt sie nur den Willen Gottes der vollen Wahrheit nach erkennen und muntert sie auf, denselben auch zu erfüllen; Zeichen aber wirkt Er nur, wo Er es wohl einsieht, daß sie niemandem an seiner Seele schaden können.
[147,08] Er will darum aber auch dem Tempel keinen Zwang antun und läßt ihn frei walten; wenn aber der Tempel nicht nachlassen wird, so wird der Tempel samt seinem ganzen Anhange dem Gericht und seinem Untergange überlassen werden. Das merket euch wohl und schreibet es euch hinter die Ohren! Denn Gott, der ist, ewig war und ewig sein wird, läßt mit Sich nicht scherzen, da Er Selbst in Seinem höchsten göttlichen Ernste die Menschen für eine wahre, ewige Seligkeit bestimmt hat.
[147,09] Denn wenn es um den Menschen so etwas ganz Geringfügiges wäre, so würde ihn Gott erstens nicht wunderbar weise und kunstvoll eingerichtet haben, so daß er schon seinem Leibe nach ein höchstes Meisterwerk der gesamten materiellen Schöpfung ist, und zweitens würde Er ihm nicht eine Seele gegeben haben, die Ihm, dem Schöpfer, selbst in allem ähnlich werden kann, wenn sie das nur ernstlich will, – und drittens würde Er nicht schon so oft zu den Menschen Selbst geredet und sie belehrt haben, was Sein Wille ist, welche Absichten Er mit ihnen hat, und was sie erreichen können.
[147,10] Wenn ihr nun das wohl bedenket und euer ganz verkehrtes Leben dagegen betrachtet, so werdet ihr es doch einsehen, wie sehr ihr stets mit Wort und Tat dem göttlichen Willen zuwiderhandelt, und ihr müsset daraus auch das erkennen, daß ihr eben aus dem Grunde, daß ihr dem göttlichen Willen allzeit widerstrebt habt, nun auch den großen Meister aus Galiläa also hasset und verfolget! Der zeigt euch nur zu klar, daß alle eure Werke wider den Willen Gottes und somit vollends böse sind! – Habt ihr mich wohl verstanden?“
[147,11] Sagten die Pharisäer: „O ja, verstanden haben wir dich schon, und du hast auch ganz wahr geredet; aber wir sehen auch leider ein, daß wir im Tempel dadurch keine große Änderung bewirken werden, wenn wir im Rate auch alles das, was wir hier erlebt haben, getreu kundgeben werden. Übrigens werden wir uns vom hohen Rate die Zungen nicht binden lassen und werden ihm unser Bedenken ganz offen dartun. Wir für uns aber werden fortan keine Gegner des großen Galiläers mehr sein; denn wir sehen es nun an dir schon ein, wie weit es ein Mensch bringen kann, wenn er die Wege kennt und den vollernstlichen Willen hat. Hast du als ein Mensch es so weit gebracht, – warum der Galiläer nicht noch weiter?! Wir werden seine Lehre, von der wir schon so manches wissen, da er schon zu öfteren Malen im Tempel gelehrt hat, so für uns, sie mit der Schrift vergleichend, durchprüfen und sie uns dann zu unserer eigenen Lebensrichtschnur machen. Ist es recht also?“
[147,12] Hier trat Raphael vor und sagte: „Da werdet ihr aber sehr vieles gutzumachen haben, was ihr der armen Menschheit Übles und Böses angetan habt! Ohne das ist für euch keine Vergebung eurer Sünden möglich; denn so euch die Menschen nicht vergeben, was ihr ihnen schuldet, da kann es euch auch Gott nicht vergeben!“
[147,13] Sagte ein Pharisäer: „Was haben wir denn gar so Arges der Menschheit zugefügt? Wir handelten wohl strenge nach den Gesetzen des Tempels, aber sonst wüßten wir wahrlich nicht, was wir außerdem der Menschheit gar so Arges zugefügt hätten!“
[147,14] Sagte Raphael: „Wartet nun, – des Nikodemus Leute bringen soeben eine Leibesstärkung; wenn diese eingenommen sein wird, dann werde ich euch schon einige Beweise liefern, die es euch zeigen werden, was ihr mit der armen Menschheit getrieben habt! Aber nun eine kleine Geduld!“
[147,15] Sagte der Pharisäer: „Wir wollen uns schon ein wenig gedulden; ob wir aber auch eine Leibesstärkung zu uns nehmen werden, das bezweifle ich sehr, – denn du hast uns nun eben nicht etwas besonders Tröstliches und Erfreuliches kundgetan. Alles, was uns dieser mächtige Ägypter gesagt und getan hat, hat uns nicht so sehr angegriffen wie eben das, was du uns gesagt hast!
[147,16] Es ist schon wahr, daß vom Tempel aus gar manche Bedrückungen verübt worden sind, die wir anordnen mußten, weil wir zu den obersten Gewalthabern des Tempels gehören; aber die Gesetze, deren Handhaber und Vollzieher wir waren, haben ja schon lange vor uns bestanden. Wir können da wahrlich nicht dafür, daß es bei uns solche Gesetze gibt! So wir aber auf dem gesetzlichen Wege irgend Menschen zu einem Schaden gebracht haben – was wahrlich eben nichts Seltenes war –, da fragt es sich dann sehr, ob wir auch solchen Schaden wieder gutzumachen haben!“
[147,17] Sagte Raphael: „Nur eine kleine Geduld, bis wir das Brot, den Wein und die etlichen Fische verzehrt haben werden, dann werde ich euch schon antworten!“
[147,18] Hierauf wurden die Körbe mit Brot, Wein und Fischen vor die verschiedenen Gästegruppen gestellt. Alle stärkten sich.
[147,19] Nur die vier Templer wollten sich trotz allen Zuredens nicht daran beteiligen; denn einer sagte: „So ein Jude ein Sünder ist, da muß er fasten, beten, in Sack und Asche Buße tun und nicht essen und trinken gleich anderen ehrlichen Menschen, die rein und gerecht vor Gott und vor allen Menschen sind. Wir werden nicht essen und nicht trinken, bis wir erfahren haben werden, wie und wodurch wir zu Sündern geworden sind.“


148. Kapitel
[148,01] Als Raphael vor den Augen der Menschen das Brot, die etlichen Fische und
auch einen Becher Weines verzehrt hatte, da trat er schnell zu den vieren hin und sagte: „Seht, ich bin schon fertig und werde euch nun gleich aus eurem Gerechtigkeitstraume helfen! 

[148,02] Ihr entschuldigtet euch zuvor mit den strengen Gesetzen eures Tempels, die ihr nicht gemacht und verfaßt habt; aber wer gab euch denn dann das Gesetz, durch das ihr eure Helfershelfer in allerlei Verkleidung zu den Menschen hinaussandtet, damit diese durch allerlei List und anderwärtige Verlockungen zur Sünde wider Gott, wider euch und den Tempel verleitet würden? Hatte sich jemand von ihnen verleiten lassen, so wurde er von den Verführern euch angezeigt, und ihr sandtet dann sogleich eure Schergen und Häscher hinaus. Diese brachten ihn zu euch, und ihr diktiertet ihm, so er irgend vermögend war, unerschwingliche Strafen. Schafe, Kälber, Kühe, Ochsen, Stiere und Esel, Getreide, Hühner, Wein und Geld mußte er euch geben als Sühne für seine Sünden; hatte er auch irgendeine schöne Tochter, so mußte er diese entweder dem Tempel opfern oder dafür ein großes Lösegeld bezahlen. Saget selbst, ob das keine Sünde war, die ihr auf eine himmelschreiende Weise an den Menschen verübt habt!
[148,03] Aber in der letzten Zeit habt ihr es euch noch besser eingerichtet! Ihr brauchet nun gar keine Verlocker mehr, die da herumziehen, damit sie die Menschen zu allerlei Sünden verführen, sondern ihr sendet jetzt bloß und gleich eure Schergen und Häscher aus. Diese müssen die Menschen, die irgend etwas haben, sogleich brandschatzen und unter dem Vorwande, daß es der Tempel in volle Erfahrung gebracht habe, daß sie wider Gott und wider den Tempel grob und sehr verdammlich gesündigt haben, ihnen gleich alle ihre Habe wegnehmen, – und wer sich da sträuben sollte, der soll sogleich gezüchtigt werden!
[148,04] Ist solch euer Tun und Treiben mit der armen Menschheit etwa auch in irgendeinem Mosaischen Gesetze geboten, oder ist das etwa keine Sünde gegen die Menschheit und gegen Gott?
[148,05] Wenn ihr um irgendein angenehmes Weib wußtet, so habt ihr es zum Ehebruch verleitet, – und wurde sie eine Ehebrecherin durch euch, so weiß das nun schon jedermann, was ihr dann mit ihr weiter getrieben habt.
[148,06] Kurz, ich sage es euch, so arg wie bei euch im Tempel ist es in Sodom und Gomorra nicht zugegangen, und dennoch getrauet ihr euch, mir das ins Gesicht zu sagen, daß ihr gegen das Volk nur nach dem Gesetze, das ihr nicht gemacht hättet, vorgegangen seid! 

[148,07] Könnet ihr euren Bluthandel an die unfruchtbaren Weiber an den äußersten Marken des nördlichen Judenlandes entschuldigen, und wisset ihr von jenen in eurem Solde stehenden Straßenräubern nicht, die schon zu öfteren Malen in der Kleidung römischer Diener und Amtsinhaber den reich beladenen Karawanen ihre Schätze abnahmen und für sich behielten, das heißt für euch und den Tempel?
[148,08] Diese eure Handlungsweise steht meines nur zu klaren Wissens auch in keinem Gesetze; wohl aber steht es geschrieben, daß man auch gegen die Fremden gerecht sein soll und soll sie ziehen lassen auf den Straßen, wenn sie dieselben nicht als Feinde betreten. Wenn ihr als Juden aber sowohl an den Einheimischen wie an den Fremden solche Ungerechtigkeiten verübt habt, wie wollet und wie werdet ihr diese und noch tausend andere Ungerechtigkeiten, die ihr überfrech der armen Menschheit zugefügt habt, je wieder gutmachen?
[148,09] Wie werden diejenigen es euch je vergeben, die ihr auf die grausamste Weise getötet habt, geistig und leiblich, und wie werdet ihr den vielen Fremden die ihnen geraubten Güter und all den vielen Einheimischen die ungerecht abgenommenen Sühnopfer für die ihnen von euch angedichteten Sünden wieder zurückstellen?
[148,10] Ich habe nun geredet; was könnet ihr mir nun erwidern, so ich euch noch hinzusage, daß ihr und eure Vorgänger nur darum stets auf das eifrigste bemüht waret, die Propheten zu verfolgen und zu töten, weil diese euch eure Greuel vorhielten und das Volk vor euren falschen und lügenhaften Lehren und Satzungen warnten, und ihr selbst nun aus dem ganz gleichen Grunde auch den allergrößten Propheten aus Galiläa zu verderben suchet, weil Er gleich mir und diesem Fremden aus Oberägypten wider euch zeugt? Redet nun und entschuldiget euch vor mir; denn auch ich bin ein Bote Gottes, des Herrn von Ewigkeit!“ 

[148,11] Sagte ein Pharisäer: „Das magst du wohl sein; aber ich begreife nur das
nicht, wie du, als kaum ein Jüngling noch, es zu einer solchen Weisheit gebracht hast! Bist denn du auch ein Galiläer und hast das alles von dem großen Propheten gelernt, wider uns also zu Felde zu ziehen offen vor den Menschen, – und doch haben wir dir unseres Wissens nie ein Leid angetan!
[148,12] Du hast uns nun sogar vor den großen und hohen Römern großer Verbrechen und himmelschreiender Ungerechtigkeiten beschuldigt, die wir selbst beim besten Willen nimmer gutmachen können; wenn du aber die leidigen Weltverhältnisse, in denen wir leben, dazu in Anbetracht nimmst, so wirst du auch mit deiner Weisheit einsehen, daß kein Mensch gegen einen Strom schwimmen kann und ein jeder Mensch seinen Mantel nach dem Winde richten muß.
[148,13] Wir sind nun durch den Wundermann aus Oberägypten und nun auch durch deine harte Rede, hoher, erhabener Jüngling, zum ersten Male überzeugend dahintergekommen, daß es wahrhaft ein höheres Leben im Menschen geben muß. Nun gut, der Mensch, der diese ganz helle Überzeugung lebendigst in sich hat, der hat freilich leicht reden und handeln; aber wir haben heute das erstemal Dinge erlebt, die uns sagten, daß Moses und auch alle andern Propheten keine Phantome einer erhitzten menschlichen Phantasie, sondern wirkliche Wahrheiten sind, von denen wir früher keine Ahnung hatten. Und so erst sehen wir nun auch ein, daß wir nach dem reinen Gesetze Mosis uns gar entsetzlich an der Menschheit versündigt haben. Aber wir können das nun unmöglich wieder gutmachen, wie es auch ganz rein unmöglich ist, daß wir, als nun selbst zur Einsicht gekommen, dem ganzen Tempel und allen Pharisäern im ganzen Judenlande unsere Einsicht als lebendig wahr seiend mitteilen könnten.
[148,14] Der Herr im Himmel wird es wohl wissen, warum Er uns so lange mit der dicksten Blindheit gestraft hat; aber ich bin darum auch der Meinung, daß Er uns rechtlicherweise nicht verdammen kann, weil wir als Blinde in den Abgrund gestürzt sind. Wir werden nach unseren Kräften und Mitteln wohl alles tun, was sich nur immer tun lassen wird; aber gar alles, was durch unsere Blindheit Böses und Arges veranlaßt worden ist, läßt sich nicht gutmachen – außer mit dem Willen.
[148,15] Also werden wir auch im Tempel dahin wirken, daß wenigstens von uns aus der große Prophet nicht mehr verfolgt werden wird, indem wir uns beim Hohen und nun eigentlich bösen Rate nicht mehr beteiligen werden; ob aber darum der Hohe Rat abstehen wird, den großen und mächtigen Propheten zu verfolgen, das wissen wir wahrlich nicht! Aber nach dem, was du und der große wundermächtige Mann aus Oberägypten von ihm ausgesagt habt, wird er sich vor dem Hohen Rate sicher noch weniger fürchten als ihr beide. Denn was kann der Hohe Rat mit allen seinen Kniffen und Beschlüssen gegen die Macht eines Menschen, der mit aller Macht des Geistes Gottes ausgerüstet ist, ausrichten? – Nun habe ich geredet, und es steht nun bei dir, uns zu sagen, ob ich recht geredet habe.“ 

149. Kapitel
[149,01] Sagte Raphael: „Geredet hast du wohl ganz gut und recht, und ich kann dir da nichts entgegenstellen, was deine pure Rede betrifft; aber es ist bei uns vollkommenen Menschen nur das für euch Fatale, daß wir auch eure innersten Gedanken sehen, und diese stimmten mit deinen Worten nicht überein!“
[149,02] Sagte der Pharisäer: „Wie kann das sein? Wie kann man leicht anders reden und anders denken? Ist ja doch das Wort selbst nichts anderes als gewisserart ein verkörperter Gedanke!“
[149,03] Sagte Raphael: „Ja, ja, das sollte er sein; aber bei euch ist er es noch nie gewesen und war es auch diesmal nicht! Wenn dein Wort der laute Ausdruck deiner innersten Gedanken ist, dann ist es Wahrheit; wenn du aber mit dem Munde wohl ein Bekenntnis aussprichst, in deinem Gemüte aber ganz das Gegenteil dir denkst, dann ist dein Wort keine Wahrheit mehr, sondern eine Lüge, die du wohl Menschen deiner Art als eine Wahrheit aufdrängen kannst, aber Menschen unserer Art nicht, – denn wir haben das Vermögen, daß wir auch die Gedanken der Menschen sehen und hören, und da ist's mit der Lüge nichts! 

[149,04] Du hast wohl in dem Punkte etwas Wahres gesagt, daß ihr euch beim Hohen Rate, so es sich irgend um die Verfolgung des großen Propheten handeln werde, nicht mehr beteiligen würdet, wie auch das, daß ihr all das angerichtete Böse nimmer gutmachen könntet, doch was ihr noch irgend vermöchtet, auch wieder gutmachen wolltet; aber das alles wollt ihr nur darum tun, weil ihr uns samt dem Propheten für Erzzauberer und nicht für wahre Boten Gottes haltet. Vor uns als vor Erzzauberern aber habt ihr nun eine große Furcht und wollet darum nicht wider uns sein. Ich aber sage es euch, daß wir keine Zauberer, sondern wirkliche Boten Gottes sind; der große Prophet aus Galiläa aber ist eigentlich kein Prophet, sondern Er ist das, was die Propheten von Ihm geweissagt haben!
[149,05] So ihr an Ihn glauben würdet, da könntet ihr auch die Vergebung eurer Sünden erlangen; wenn ihr aber nicht an Ihn glaubet und Seine Lehre nicht annehmet und auch nicht danach handelt, so bleibt eure Sünde in euch und mit ihr auch der ewige Tod. Er allein ist der Herr, wie das alle Propheten von Ihm geweissagt haben, und kann darum auch jedem, der zu Ihm kommt, seine Sünden erlassen; aber als ein von euch geglaubter Hauptzauberer wird Er euch eure vielen Sünden nicht erlassen und vergeben!
[149,06] Daß wir aber keine von euch geglaubten Zauberer sind, das will ich euch sogleich zeigen. Sehet mich an, ob ich etwas anderes bei mir habe als nur diesen meinen ganz leichten Faltenrock! Ich aber frage euch nun: Was wollet ihr, das ich nun bloß durch meinen Willen herstellen soll? Aber wählet etwas Gutes, Wahres und somit Vernünftiges!“
[149,07] Hier dachten die beiden Pharisäer nach, was sie wählen sollten, das herzustellen etwa dem vermeinten jungen Zauberer nicht zu leicht möglich wäre.
[149,08] Nach einer Weile sagten sie (die beiden Pharisäer): „Gut, holder Freund, so stelle uns einen mit reicher Frucht versehenen und völlig ausgewachsenen Feigenbaum her und das also, daß er bleibe und jahrelang fortbestehe und Früchte trage! Wir werden aber die Frucht auch sogleich kosten!“
[149,09] Sagte Raphael: „Es steht zwar geschrieben: ,Du sollst Gottes Allmacht nicht versuchen, sondern du sollst Gott dienen!‘; aber da es sich hier bloß darum handelt, euch den Unterschied zwischen einem Zauberer und einem Menschen, der mit dem Geiste aus Gott wirkt, zu zeigen, so soll euer Verlangen auch alsbald erfüllt werden! Wo wollt ihr, daß der Baum stehe?“
[149,10] Sagte der Pharisäer: „Siehe, dort, wo gegen den Rand des Hügels ein brauner Stein liegt, ebendort kannst du ihn hinstellen!“
[149,11] Sagte Raphael: „Gut denn, so will ich, daß alsogleich ein Feigenbaum nach eurem ausgesprochenen Verlangen an der bezeichneten Stelle stehe! Es sei!“
[149,12] In dem Augenblick stand auch schon der Feigenbaum an der bezeichneten Stelle. Da erschraken die Pharisäer und die Leviten so sehr, daß sie sich vor lauter Angst und Staunen kaum ein Wort zu reden getrauten.
[149,13] Raphael aber sagte zu ihnen: „Nun, der von euch verlangte Baum ist auf seinem Platze, strotzend vollbeladen mit reifer Frucht; gehet nun hin und kostet die Feigen, und urteilet, ob sie eine nichtige Zauberei oder eine volle Wahrheit sind!“
[149,14] Darauf sagte ein Pharisäer: „O du allmächtiger Bote Jehovas, das sehen wir nun schon, daß das ewig keine Zauberei, sondern die Macht und Kraft des Geistes Gottes im Menschen ist! Gott möge es uns vergeben, daß wir gegen Seine Allgewalt gefrevelt haben! Wir getrauen uns nicht, die Frucht, die Gottes Allmacht nun gar so wundersam geschaffen hat, zu kosten; denn das hieße Gott noch mehr versuchen!“
[149,15] Sagte Raphael: „Oh, oh, so fromm seid ihr noch lange nicht! Ihr fürchtet nur, daß euch diese Frucht schaden könnte, und ihr getrauet euch nur darum nicht, sie zu kosten! Es sollen aber die anderen Menschen zuvor hingehen und die Früchte kosten; ihr werdet dann ja doch sehen, ob euch die Früchte schaden werden?!“
[149,16] Darauf begaben sich sogleich Nikodemus, Joseph von Arimathia und noch einige zu dem schönen Baume, lösten gleich mehrere Feigen von den Zweigen, verzehrten sie mit großer Lust und lobten sehr den Wohlgeschmack. Da gingen auch die Pharisäer hin und kosteten auch die gar herrlich aussehenden und sehr zum Genusse lockenden Feigen und konnten den Wohlgeschmack nicht genug rühmen.
[149,17] Als sie etliche von den Feigen verzehrt hatten, gingen sie ganz voll Staunen wieder zum Engel hin, betrachteten ihn vom Kopfe bis zum Fuße und sagten nach einer Weile (die Pharisäer): „Bist du, junger Mensch, wirklich auch nur bloß ein Mensch wie wir, oder bist du irgendein höheres Wesen?“
[149,18] Sagte Raphael: „Ja, ich bin nur gar sehr ein Mensch, aber freilich wohl nicht euch gleich; denn ihr seid bisher eigentlich noch keine wahren Menschen, sondern nur halbbelebte Menschenformen, denen aber noch vieles abgeht, bis sie zu vollkommenen Menschen werden. Was wollet ihr noch, daß ich euch zeigen soll?“
[149,19] Sagten die Pharisäer, denen nun doch endlich einmal ein Licht aufgegangen war: „O du lieber, sicher gleich einem Samuel und David vom Geiste Jehovas erfüllter Jüngling, es genügt uns dieses Zeichen! Uns reut es, daß wir das eine Mal Gott versuchten und ein Zeichen von dir verlangten; wir glauben nun schon ganz vollkommen, daß das keine Zauberei, sondern ein reines Gotteswunder ist. Es wäre ein Frevel, so wir, wie gesagt, noch ein weiteres Zeichen von dir verlangten; du selbst aber als ein in aller Gnade Gottes stehender Jüngling kannst nach deinem eigenen Willen tun, was dir gefällig ist.
[149,20] Uns deucht es nun ohnehin, daß du auch der wunderbare Erbauer jener großen Feldsäule bist, die man von hier aus noch recht gut sehen kann. Denn sie ist nicht auf eine natürliche Art und Weise dorthin gekommen, weil man nicht die allergeringste Spur von durch die Aufstellung einer so schweren Säule notwendig bewirkten Boden- und Grasverwüstungen entdecken kann; sie muß also wundersam entstanden sein. Und so es dir durch die Gnade und Kraft Gottes in dir möglich ist, solch einen Baum voll reifer und höchst wohlschmeckender Feigen in einem schnellsten Augenblick zu erschaffen, – warum sollte es dir nicht möglich sein, jene Säule eben auf die gleiche Weise ins Dasein zu rufen?!
[149,21] Denn bei Gott, der die ganze Erde mit allem, was sie trägt und nährt, aus nichts erschaffen hat, muß ja alles möglich sein; in dir aber wirkt auch Gottes Gnade und Macht, und so muß auch dir alles möglich sein. Du darfst nur fest wollen, und es ist schon alles da, was du willst! Davon sind wir nun schon vollkommen überzeugt und bedürfen keines noch andern Zeichens von dir. Aber du hast Weisheit und Macht und kannst darum dennoch tun, was dir wohlgefällig ist.“

150. Kapitel
[150,01] Sagte Raphael: „Nun gut denn, so werde ich es auch also machen! Da ihr nun angenommen habt, daß ich auch der Erbauer und Aufsteller jener Feldsäule dort am Wege nach Jerusalem bin, so sage ich euch nun hinzu, daß es auch also ist. Es ist aber dadurch dargetan, daß die Sache, sich also verhaltend, die Gewißheit darstellt, daß der innerste Geist im Menschen auch ein Herr aller Naturkräfte, die in allen Elementen walten, ist und sein muß, weil sie ohne den Geist, der aus Gott ist und allenthalben wirkt, gar nicht da wären; ist er aber unleugbar das, so muß ihm auch alles nach den ewigen Normen der göttlichen Ordnung möglich sein.
[150,02] Bevor aber ein Mensch zu solcher Fähigkeit gelangt oder gelangen kann, muß er sich durch die allergenaueste Befolgung des Willens Gottes, der ihm durch Moses und durch die Propheten geoffenbart worden ist, eben diesen Willen Gottes so sehr zu eigen machen, daß er dann frei aus sich nicht anders handeln kann, als wie es ihm der Wille Gottes in seinem Herzen weist, – was für den, der Gott erkannt hat und Ihn über alles liebt, eben nichts Schweres ist, weil ihm die Liebe zu Gott dazu die Kraft stets in dem Maße erhöht erteilt, als er im Herzen in der Liebe zu Gott wächst und in solcher Liebe auch in der Liebe zum Nächsten.
[150,03] Hat sich ein Mensch auf diese Weise mit Gott geeint, so ist er auch schon erfüllt mit dem Geiste aus Gott; denn die Liebe zu Gott und die Erfüllung Seines heiligen Willens ist ja eben schon der vollauf tätige Geist Gottes im Menschen, weil dessen neuer Wille nicht mehr des Menschenfleisches schwacher und ohnmächtiger, sondern der allmächtige reine Gotteswille ist.
[150,04] Wer aber solchen Willen völlig in sich hat, dem muß dann ja auch offenbar alles möglich sein, was er will; denn was er dann will, das will auch Gott in ihm, – Gott aber ist doch sicher wohl alles möglich!
[150,05] Darum sollet ihr euch eben nicht so sehr wundern, wenn die alten Propheten gar oft große Zeichen wirkten. Denn sie wirkten aus sich als pure Menschen ebensowenig irgendwelche Zeichen, wie ihr je wahre Zeichen gewirkt habt; da sie aber durch ihren reinen Lebenswandel oft schon von der Wiege an voll des Geistes aus Gott waren, so wirkte dieser allmächtige Geist die großen Wunderzeichen, und dieser Geist erfüllte auch ihre Herzen mit dem Lichte aller Weisheit aus Gott, und was sie dann aus solcher Weisheit zum Volke redeten, das war nicht mehr Menschen-, sondern Gottes Wort.
[150,06] Da ich aber, wie auch noch einige von diesen hier sich befindenden Menschen, eben auch also mit dem Geiste und Willen Gottes erfüllt bin, so muß mir ja alles werden, was der Wille Gottes in mir will, und es kann sich mir nichts widersetzen. So ich diese ganze Erde zertrümmern und völlig zerstören wollte, so würde das, wenn ich ernstlich wollte, ebenso sicher gelingen, als es mir nun gelingen wird, jenen dort am ziemlich fernen Gebirge hervorragenden großen Felsen in einem Augenblick zu zerstören.
[150,07] Sehet hin, dort zwischen Mitternacht und Morgen befindet sich eben der erwähnte stark vorspringende Fels, dessen Vernichtung wohl niemandem einen Schaden bringen wird, da er ohnehin den Besitzern jenes Berges und dessen Waldungen mehr zum Schaden als zu irgendeinem Nutzen gereicht. Ich will, – und seht, der Fels besteht nicht mehr! Seine ganze Masse befindet sich nun schon bei tausend Tagereisen weit von hier in der Tiefe eines großen Meeres!“
[150,08] Sagten die Pharisäer ganz erstaunt: „Aber wir sahen ihn nicht von dannen sich heben und durch die Luft fliegen!“
[150,09] Sagte Raphael: „Habt ihr ja zuvor doch auch diesen Baum nicht langsam aus dem Boden emporwachsen sehen! Was der Geist Gottes will, das geschieht so, wie Er es will; denn Zeit und Raum kommen bei Ihm in keinen Anschlag. Will Er aber, daß da alles in einer zeitenfolgerechten Ordnung geschieht, wie ihr das an der Natur der Dinge dieser Erde sehet, so geschieht es auch also, wie Er es will; denn die Zeit wie der Raum sind auch Dinge, die da stets und ewig hervorgehen aus Seinem Willen und aus Seiner Ordnung!
[150,10] Die Zeder wächst nach Seinem Willen oft viele Jahrhunderte hindurch, bis sie zu ihrer größten Größe und Stärke gelangt, eine Kleepflanze ist mit ihrer Vollendung in wenigen Tagen fertig; siehst du aber den Blitz aus einer Wolke fahren, so braucht er sehr wenig Zeit zu seiner Herabkunft von der Wolke bis zur Erde, und so sehet ihr aus dem, daß dem Geiste Gottes alle Dinge möglich sind. – Begreifet ihr nun etwas davon?“
[150,11] Sagten die noch immer höchst verblüfften Pharisäer: „Ja, ja, wir begreifen
das nun wohl schon so, wie das Menschen von unserer alten Blindheit begreifen können; aber die ungeheure Schnelligkeit des Erfolgs des göttlichen Willens im Menschen, wie nun in dir, werden wir wohl schwerlich je begreifen! Das gewisse Hier und Dort zugleich, das faßt ewig kein noch so heller Menschenverstand.“
[150,12] Sagte Raphael: „Warum denn das nicht? Könnet ihr euch in euren Gedanken nun nicht sogleich zum Beispiel in eure Wohnungen versetzen?“
[150,13] Sagte ein Pharisäer: „O ja, das wohl, – aber natürlich ohne die allergeringste Wirkung!“
[150,14] Sagte Raphael: „Das sicher, weil ihr mit dem alles erfüllenden, alles durchdringenden und überall wirkenden Geiste aus Gott nicht eins seid! Dieser Geist ruht zwar wohl im innersten Zentrum eurer Seele, aber er ist da noch ganz isoliert von dem allgemeinen Geiste, weil er durch eure zu geringe Liebe zu Gott auch eine viel zu geringe Nahrung hat, daß er sich in der Seele ausbreiten, sie durchdringen und sich also durch euer ganzes Wesen ausbreiten könnte, das heißt nicht etwa räumlich, sondern in der Sphäre der Willensfähigkeit, die in ihm ebenalso vorhanden ist wie in Gott Selbst, von dem er als ein unverwüstbares Lebensfünklein in das Herz der Seele gelegt wurde.
[150,15] In der Willenssphäre ausbreiten heißt aber, daß die Seele selbst ihren Willen dem erkannten Willen Gottes völlig unterordnet und sich freiwillig ganz von ihm beherrschen läßt.
[150,16] Ist das der Fall, daß sich eine Seele, gleichsam wie von außen herein, von dem erkannten und genau befolgten Willen Gottes bis in ihr Innerstes durchdringen läßt, so erweckt dieser erkannte und befolgte Wille Gottes den in der Seele Innerstem ruhenden und schlummernden Geist aus Gott. Dieser vereinigt sich dann alsbald mit dem ihm gleichen, die ganze Seele durchdrungen habenden Willensgeiste, der der eigentliche Geist Gottes ist, ist dann eins mit ihm in allem, wie das Gott – wennschon für Sich in einem noch endlos höheren Grade – auch also ist und bleibt, gleichsam wie da auch eins ist ein Auge dem andern, obschon bei einem Menschen auch ein Auge stets schärfer und leichter sieht als das andere. 

[150,17] Wenn der Mensch es dahin gebracht hat, dann ist sein Gedanke, mit dem er sich an irgendeinen noch so fernen Ort versetzt hat, kein leerer und wirkungsloser, sondern er stellt die ganze, alles bewirken könnende Wesenheit eines solchen vollkommenen Menschen an den Ort geistig hin. Diese sieht, hört und vernimmt alles, weil sie mit dem endlosen Willensgeiste alles durchdringt und beherrscht, ohne dadurch nur einen Augenblick ihre individuelle Selbständigkeit zu verlieren. Weil sie aber alles durchdringt und beherrscht, so kann sie auch als ein mit dem wahren Geiste Gottes erfüllter Gedanke alles bewirken in einem Augenblick, was der vollkommene Mensch will.
[150,18] Aber solange der Mensch diesen seligsten und allein wahren Lebenszustand nicht erreicht hat, vermag er seine Gedanken und Ideen nur durch seine Leibesglieder in irgendeine unvollkommenste Verwirklichung zu bringen, und das nur in der gerichteten Naturmäßigkeit. Der Gedanke für sich aber ist nichts anderes als dein Abbild in einem Spiegel – ohne Wesenheit, ohne Kraft und ohne alle Macht. Aber das sagt er dir dennoch, daß du dich in ihm augenblicklich in einem noch so fernen Orte befinden kannst, wenn auch nach der dir gemachten Erklärung ohne alle Wirkung.
[150,19] Du wirst nun wohl verstehen, wie es mir möglich war, jenen Fels dort am ziemlich fernen Gebirge abzulösen und ihn in die Tiefe eines fernsten Meeres zu versenken. 

[150,20] Ich habe vor euch diese Zeichen aber nicht darum gewirkt, um euch vor uns in irgendeine Furcht zu versetzen oder euch zur Annahme einer neuen Lehre, die eigentlich wohl die älteste Lehre auf der Erde ist, zu nötigen, sondern bloß darum habe ich die Zeichen gewirkt, um euch zu zeigen den rechten Weg zur Gewinnung der wahren und vollkommenen Lebenskraft aus Gott, ohne die der Mensch in seiner Seele so lange so gut wie wahrhaft tot zu betrachten ist, solange er nicht nach der Art, die ich dir gezeigt habe, völlig eins mit dem Willen Gottes geworden ist.“

151. Kapitel
[151,01] (Raphael:) „Ihr mit eurem gänzlich verkehrten und von Gott völligst abgewichenen Tempelwesen aber seid noch überaus ferne davon und werdet euch davon noch immer mehr entfernen! Ihr hoffet auf einen weltlichen Messias, der euch aus der euch über alles verhaßten Botmäßigkeit der Römer befreien und aus euch wieder ein großes und gefürchtetes Volk machen werde; aber solch ein Messias wird ewig nicht zu euch kommen. 

[151,02] Es ist aber der verheißene, wahre Messias in der Person des euch so sehr
verhaßten Galiläers zu euch gekommen und will bei euch ein geistiges Reich auf Erden gründen und euch geben das verlorene Paradies, das da ist die bei euch gänzlich verlorengegangene Erkenntnis des einen, wahren Gottes und Seines Willens, was da endlos höher steht denn alle Reiche und Schätze der Erde; allein, ihr wollet das nicht und verfolget den Heiligsten aller Heiligkeit in Gott und wollet Ihn sogar fangen und töten.
[151,03] Urteilet da selbst, ob ihr durch solche eure Denkungs- und Handlungsweise
je in einen Zustand des des wahren und vollkommenen Lebens eines Menschen gelangen könnet! Redet nun und gebet mir eine rechte Antwort!“
[151,04] Sagte ein Pharisäer: „Ja, ja, du hast wahrlich in allem recht geredet, und wir
sehen nun die große Wahrheit ein, daß wir durch unsere ganz eigene Schuld so endlos weit vom wahren Ziele des Menschenlebens uns entfernt haben; aber wir sehen nun auch, daß wir auf diese Weise so gut wie rettungslos verloren sind. Denn der Tempel wird in seiner übergroßen Verblendung seine Gesinnung nicht ändern, und so sind wir verloren, und die Bedeutung der Zeichen am Himmel in der vorigen Nacht ist uns jetzt erst so recht sonnenklar geworden.
[151,05] Was uns vier allhier betrifft, so werden wir wohl nach allen unseren Kräften
auf den Wegen zu wandeln anfangen, die du uns gezeigt hast; aber unser sind etliche Tausende, die noch um vieles finsterer und ärger sind, als wir je waren, bei denen dieses Licht nie zum Leuchten kommen wird. Was wird aus diesen werden, so sie in ihrer Bosheit hartnäckig verharren?“
[151,06] Sagte Raphael: „Die Gelegenheit ist da und wird noch eine kurze Zeit bei
euch verharren. Wer da freiwillig kommen wird, der wird angenommen werden; wer aber nicht kommen wird, sondern verharren wird in seiner Blindheit, der wird zugrunde gehen. Denn aufgedrungen wird die Lehre zur Gewinnung des inneren Lebens niemandem, weil ihm das für seine Seele auch nichts nützen würde. Das Naturleben auf dieser Erde wird dem Menschen wohl gegeben, – aber das innere Leben muß er selbsttätig erwerben.
[151,07] Ich sage es euch: Das Geheimnis und das Bedürfnis des inneren vollkommenen Lebens liegt jedem Menschen so nahe und so klar auf der Hand, daß wahrlich die Sonne am hellsten Mittage nicht klarer scheinen könnte! Aber es hilft das bei der notwendigen Freilassung der Selbstbestimmung der Menschenseele am Ende dennoch nicht viel, weil der Mensch von Natur aus träge und somit untätig ist, was denn auch wieder notwendig ist, weil der Mensch sonst keine Gelegenheit hätte, sich selbst zum Leben zu erwecken, um auf diese Weise ein gleich selbständiger Meister seines wahren Lebens zu werden.
[151,08] Aber die größte Anzahl von Menschen dieser Erde läßt sich aus ihrem süßen Trägheitsschlafe nicht einmal so weit wachrütteln, daß sie doch wenigstens einmal erführe, wie höchst wunderbar angenehm der werdende Tag anbricht. Sie schläft lieber in den halben Tag hinein, und wenn sie dann doch endlich einmal wach wird, so wird sie erst recht ärgerlich, daß es schon hellster Tag geworden ist, der sie nicht noch eine Zeitlang so ganz ruhig schlafen ließ.
[151,09] Da frage ich im Namen des Herrn: Wem soll man denn ein solches Menschengeschlecht vergleichen? Die Tiere haben ihre Zeit zur Ruhe und zu ihrem Schlafe. Wenn sie wach sind, so sind sie tätig in ihrer Art, gleich den Ameisen und Bienen, und sorgen treulich für ihre Zukunft – denn solches liegt in ihrem Instinkt –; aber der Mensch trotz aller
Offenbarung, weil er notwendig einen ganz freien Willen hat, gefällt sich in seiner Trägheit und will nicht das Licht, sondern nur die Nacht und die vollste Finsternis, damit er fortwährend desto behaglicher seinen todbringenden Schlaf fortpflegen kann.
[151,10] Was kann aber Gott, der mit Seiner Allmacht in das Leben eines Menschen

nicht mehr so wie bei den Pflanzen und Tieren einwirken kann und darf, um aus dem freiesten und völlig selbständig sein sollenden Menschenleben kein gerichtetes Tier- oder Pflanzenleben zu gestalten, da anderes tun, als was sorgsame Eltern, denen das Heil und Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt, ihren schlafsüchtigen Kindern tun?
[151,11] Sie versuchen, die Kleinen mittels allerlei Lärm aufzuwecken; und wollen
die Kinder das Bett noch immer nicht verlassen, so müssen sie – die Eltern nämlich – nach einer Rute greifen und den zu schlafsüchtigen Kindern einige etwas unangenehme Ratschläge erteilen, die ihnen auf eine handgreifliche und wirksame Weise sagen, daß es schon sehr an der Zeit sei, aufzustehen und sich den Geschäften des hellen Tages zu widmen.
[151,12] Und sehet, dasselbe tut gerade nun, wie auch allzeit, der Herr mit den
Menschen! Oft und oft ruft Er sie durch Seine erleuchteten Boten, daß sie wach werden sollen am schon ganz hellen Tage; aber die Kinder achten des Rufes der Boten nicht, beschimpfen sie gar, schaffen sie aus dem Hause und tun ihnen sogar Leid an. Da kommt der Vater Selbst und sagt laut: ,Aber Kinder, es ist schon heller Tag geworden; stehet auf, und gehet an euer leichtes Tagesgeschäft!‘
[151,13] Da tun die Kinder, wie die Israeliten zu Mosis Zeiten, als wollten sie im Nu aufwachen und aufstehen zum leichten Tagesgeschäft. Wenn aber der Vater das
Schlafgemach wieder verläßt auf eine kurze Zeit, da achten die Kinder Seines Rufes nicht mehr, sondern schlafen alsbald wieder ein und schlafen noch ärger ein denn zuvor.
[151,14] Der Vater sendet wieder Boten, daß sie nachsähen, ob die Kinder schon aus
dem Bette sind; aber die Boten kommen zurück und sagen: ,Vater, Deine Kinder schlafen nun noch ärger denn je zuvor einmal!‘ Da sagt der Vater: ,Ah, das geht nicht! Davon müssen wir sie abbringen; denn sonst gehen sie Mir noch alle zugrunde. Nun muß die Rute in Anwendung gebracht werden!‘
[151,15] Da kommt der Vater abermals Selbst mit der Rute. Und siehe, einige,
Kinder springen aus Furcht vor der Rute wohl aus dem Bett des Todes, ziehen sich an und gehen noch ganz schlaftrunken an ihr Tagesgeschäft und murren, weil der Vater sie mit der Rute zum Wachen und Arbeiten geweckt hat; aber der größte Teil der Kinder läßt die Rute über sich schwingen, gerät in eine blinde Zornwut, steht hastig auf, stürzt sich dann auf den Vater und würgt Ihn. Was verdienen solche Kinder dann?“
[151,16] Sagen die Pharisäer: „Oh, wehe solchen Kindern! Über die wird der tief
beleidigte Vater in einen mächtigen Zorn geraten und wird sie verstoßen aus Seinem Hause und nimmerdar erkennen als Seine Kinder. Sie werden in der Fremde und in den Wildnissen der Erde gleich den Hunden unter den harten Heiden umherirren müssen und da und dort den Dienst der elendesten Sklaven verrichten. Wer wird sich da ihrer erbarmen?!“
[151,17] Sagte Raphael: „Nur der Vater allein, so sie reuig zu Ihm wieder
zurückkehren; die aber nicht werden zurückkehren wollen, die wird der Vater nicht irgend eigens aufsuchen lassen und sie mahnen zur Umkehr, sondern sie werden im Elende belassen werden so lange, bis sie dasselbe selbst zur Umkehr nötigen wird.
[151,18] Aber ihr gehöret nun unter jene Kinder, die sich doch noch, wenn auch mit
vieler Mühe von des Vaters Seite und vielen Murren von ihrer Seite, am hellsten Tage aus dem Schlafbett haben treiben lassen. Da ihr nun einmal aus dem Bett seid, so steiget nicht wieder in dasselbe, sondern bleibet auf dem offenen Felde am Tage des Vaters, so wird euch der Vater liebgewinnen und euch helfen bei der Arbeit der Vollendung eures Lebens; kehret ihr aber in euer altes Bett zurück, so werdet ihr den herzlosen Zuchtmeistern übergeben werden, welche da heißen: Armut, Not, Elend, Blindheit, Verlassenheit, Schmerz und Verzweiflung!
[151,19] Denn der Mensch birgt in sich die sieben Geister Gottes, die in ihm das
seligste ewige Leben bereiten. Ebenso hat er auch in sich die sieben Geister der Hölle, wie ich sie zuvor benannt habe. Diese bereiten in ihm den unter ihren Bedingnissen ewigen Tod und
seine Qualen.
[151,20] Was ich euch aber jetzt gesagt habe, ist ewige Wahrheit aus Gott. Wenn ihr
euch danach kehren werdet, so werden euch eure Sünden vergeben werden, und ihr werdet zur Vollendung des Lebens eurer Seelen gelangen.“

152. Kapitel
[152,01] Hierauf fragte der zweite Pharisäer, sagend: „O du vom Geiste Gottes voll
erfüllter junger und – sage – zweiter Samuel! So wir doch noch möglicherweise zur Vollendung des inneren Lebens gelangen könnten, würden wir da auch zu der inneren Kraft gelangen, die wir an dir, wir zuvor an dem vollkommenen Menschen aus Oberägypten erprobt haben?“
[152,02] Sagte Raphael: „Es gibt keine Vollendung des Lebens, mit der nicht auch
die innere Kraft eng verbunden wäre, weil das vollendete Leben auch die vollendete Kraft selbst ist. Doch ist in der Gabe des Geistes aus Gott an die Menschen, je nach ihrer inneren Eigentümlichkeit, auch notwendig eine Verschiedenheit, und diese Verschiedenheit ist darum da, damit in alle Ewigkeit die seligen Geister sich gegenseitig dienen können nach dem Maße ihrer Liebe zu Gott und aus dieser Liebe zu sich gegenseitig.
[152,03] Daher erhält der eine in der Vollendung seines inneren Lebens die Gabe der Vorsehung, der andere die Gabe der Weisheit im Ausdruck des Wortes und der Rede, ein anderer die Gabe der Erfindung und Schöpfung, wieder ein anderer die Gabe der Stärke des Willens, ein anderer die Kraft der Liebe, und wieder ein anderer die Gabe in der Macht des Ernstes, ein anderer die der Geduld, und wieder ein anderer besonders die Gabe der Macht der Erbarmung, und wieder ein anderer die der Macht der Demut. Und so fort ins Endlose ist bei einem dies und bei einem andern jenes vorwiegend, auf daß, wie schon gesagt, ein Geist den andern in diesem oder jenem unterstützen kann; doch im Notfall hat auch ein jeder Geist in sich alle Fähigkeiten vereint und kann wirken in jeder erdenklichen und noch so besonderen Gabe des Geistes aus Gott.
[152,04] Wenn ihr bei der möglichen Vollendung eures inneren Lebens denn auch nicht gerade meiner Gabe auf dieser Erde völlig habhaft werdet, so werdet ihr aber einer andern Gnade und Gabe habhaft und werdet mit ihr euren Nebenmenschen ebenso dienen können, wie ich nun euch mit meinen Gaben gedient habe. Wer aber einmal einer besonderen Gnade und Gabe aus Gott teilhaftig wird in einem besonderen Grade, der wird in allen anderen Gaben nicht stiefmütterlich gehalten werden.
[152,05] Daß sich das aber also verhält, das könnet ihr schon aus den endlos verschiedenen Talenten, Fähigkeiten und Eigenschaften der Menschen auf dieser Erde schließen. Der eine ist ein besonders guter Redner, der andere ist ein Maler, ein anderer ein Sänger, wieder ein anderer ein vorzüglicher Rechner, ein anderer ein Mechaniker, noch ein anderer ein Baumeister; der eine ein Zeugmacher, Weber, ein anderer ein Apotheker, ein anderer ein Bergwerksmann. Und so ist ein jeder mit irgendeinem besonderen Talent schon von Natur aus begabt; aber er ist trotz des ihm eigentümlichen besonderen Talentes auch mit allen andern menschlichen Fähigkeiten, wennschon in einem minderen Grade, beteilt und kann jede derselben durch Mühe und Fleiß zu einer wahren Vollendung ausbilden.
[152,06] Wie ihr nun aber diese Verschiedenheit schon hier wahrnehmen müsset, so werdet ihr es auch einsehen, daß die Verschiedenheit der Gaben des Geistes Gottes an die Lebensvollendeten eine noch ums unaussprechbare viel entschiedenere ist und sein muß, weil ohne eine solche Verschiedenheit keine wahre und allerlebendigste Seligkeit möglich wäre. 

[152,07] Ja, der Weg bis zur Lebensvollendung ist für jedermann ein gleicher. Er gleicht völlig des Ausflusse des Lichtes aus der Sonne und dem Herabfallen des Regens aus der Wolke. Aber dann schaue dir die endlos verschiedene Wirkung des gleichen
Sonnenlichtes und des ebenso gleichen Regens sowohl im Reiche der Mineralien als auch der Pflanzen und der Tiere an! Wie du aber da eine endlose Verschiedenheit schon in der Kreatur der Materie merken mußt, eine desto größere Verschiedenheit ergibt sich dann erst im lebensvollendeten Reiche der seligsten Engel. Und das hat Gottes höchste Weisheit und Liebe darum also angeordnet, damit die Seligkeit der Geister eine desto größere werde.
[152,08] Darum fraget nicht, ob ihr eben auch in eurer möglichen Lebensvollendung meine Eigenschaften überkommen werdet, sondern wandelt in aller Demut und Liebe nur auf dem euch nun bekanntgegebenen Lichtwege unaufhaltsam fort, und ihr werdet dann schon ganz hell und lebendig innewerden, zu welcher Gabe des Geistes aus Gott ihr werdet gelangt sein!
[152,09] Der Leib des Menschen hat ja auch höchst verschiedene Teile und Glieder, die alle lebendig und in ihrer Art zur Erhaltung des ganzen Menschen tätig sind; habt ihr aber schon je in euch unter den Teilen und Gliedern eures Leibes eine Klage in der Art etwa vernommen, daß die linke Hand lieber die rechte wäre, oder der Fuß lieber das Haupt, oder das Auge lieber das Ohr, oder umgekehrt?
[152,10] Wenn der Leib ganz gesund ist, so ist auch ein jeder seiner Teile und Glieder ganz vollkommen mit seiner Stellung, Lage, Bestimmung und Eigenschaft zufrieden und wünscht sich ewig keinen Umtausch.
[152,11] Und sehet, ebenso steht es in der Gesellschaft der Menschen und Geister, die in ihrer Gesamtheit auch einem Menschen gleicht! Da vertritt ein Teil die Augen – das sind die Seher –, ein Teil die Ohren – das sind die Vernehmer –, ein Teil die Hände – das sind die Tatkräftigen –, ein Teil die Füße – das sind die stets zum höheren Licht vorwärts Schreitenden –, ein Teil das Herz – das sind die Mächtigen in der Liebe –, ein Teil den Magen – das sind die Aufnehmer vom Guten und Wahren aus Gott, die dadurch die ganze Gesellschaft ernähren –, ein Teil ist wieder gleich dem Gehirne – das sind die Weisen, die da gleichfort die ganze Gesellschaft ordnen –, und so geht das vom Kleinsten bis zum Größten ins Unendliche fort, und jedes noch so geringe Glied, und jede einzelne Fiber, der Gesellschaft ist in seiner Art vollkommen mächtig und selig und teilhaftig der Fähigkeiten und Eigenschaften der ganzen Gesellschaft, gleichwie da auch deine Füße vollkommen teilhaftig sind des Lichtes deiner Augen und deine Augen der Fähigkeit deiner Füße. Es freut sich dein Auge, daß es samt dem ganzen Leibe von den Füßen dahin weitergetragen wird, wo es neue Wunder und Dinge erschaut und sich im Verstande und Herzen darüber erfreut; aber diese Freude wird dann auch dem Fuße also mitgeteilt, als wäre der Fuß selbst vollkommen das Auge, das Ohr, der Verstand und das Herz selbst!
[152,12] Wenn ihr das so recht überdenket, so werdet ihr auch sicher mit jeder Gabe des Geistes Gottes, die ihr nur immer überkommen werdet, mehr als vollkommen zufrieden sein können. – Habt ihr mich aber nun auch wohl verstanden?“
[152,13] Sagten die Pharisäer, im höchsten Grade erstaunt über die Weisheit Raphaels: „O du wahrer, himmlischer Samuel! Wie gar sehr weise bist du! Nun haben wir dich erst ganz verstanden! Und das hast du alles von dem großen und weisesten Galiläer überkommen?“
[152,14] Sagte Raphael: „Ewig alles nur von Ihm!“
[152,15] Sagten die Pharisäer: „Nun erst möchten wir ihn selbst sehen und sprechen!
Wir sind nun keine Feinde mehr von ihm, sondern sehr reuige Freunde. Zeige uns seinen Aufenthalt an, daß wir hingehen und ihm unseren innersten Dank darbringen können! Wir werden den Tempel ganz sicher stehen lassen und ihm nachfolgen!“


153. Kapitel
[153,01] Raphael aber berief nun, statt den beiden Pharisäern auf ihre Frage nach Mir sogleich zu antworten, Lazarus und Nikodemus zu sich und sagte erst hierauf zu den beiden Pharisäern: „Kennet ihr diesen Mann, den besonders ihr am meisten zu verfolgen angefangen habt, weil er euch am Ende doch nicht mehr das leisten konnte und wollte, was alles ihr von ihm verlangt habt?“
[153,02] Sagten die beiden Pharisäer: „Oh, den überreichen Lazarus kennen wir
sicher sehr wohl und wissen es auch, was wir an ihm verbrochen haben! Was wir ihm werden zu ersetzen imstande sein, das werden wir ihm auch nächstens aus unserem höchsteigenen Privatschatze ersetzen. Aber wir haben seine Herberge auf dem Ölberge mit einem Fluche belegt, der im Tempel eingetragen ist; den werden wir freilich nicht anders als mit einem bedeutenden Lösegeld aus dem schwarzen Buche tilgen können. Wir aber werden dem guten
Lazarus das Geld aus unserem Schatze geben, und er wird damit den lästigen Fluch schon löschen können!“
[153,03] Sagte Raphael zu Lazarus: „Bist du mit diesem Antrage zufrieden?“
[153,04] Sagte Lazarus: „Ich bin damit sicher ganz zufrieden, obschon ich da auch

den aufrichtigen Willen schon fürs Werk annehmen und somit auch euch beiden der beste Freund sein will und werde. Übrigens muß ich euch, meine lieben Freunde, offen bekennen, daß mir euer Fluch viel mehr genützt als irgend geschadet hat; denn dadurch sind alle Fremden gerade mir zugeströmt, als sie das bei den Zöllnern in Erfahrung gebracht hatten, daß meine Herberge vom Tempel aus verpönt sei. Denn da urteilten die Fremden also: ,Die Herberger der Stadt, denen die bekannt beste und billigste Herberge auf dem Berge schon lange ein Dorn im Auge war, haben sich sicher mit allerlei Opfern einerseits und mit ebenfalls allerlei lügenhaften Verleumdungen anderseits hinter den bekannt höchst opfersüchtigen Tempel gesteckt und haben das bewirkt! Jetzt gehen wir erst recht allein der Bergherberge zu und geben ihr unser Geld für ihre sicher billigste und beste Bewirtung!‘
[153,05] Und so sehet nun, ihr lieben Freunde, wir ihr mir durch den Fluch nicht nur nicht geschadet, sondern nur sehr genützt habt, und wie ich darum gar keinen Grund habe, auf euch ärgerlich zu sein! Also ist es auch gar nicht nötig, den Fluch aus dem Buche löschen zu lassen, da er meiner Herberge offenbar zum größten Nutzen gereicht.
[153,06] Zudem aber ist noch das in Betracht zu ziehen, daß mir ganz dasselbe begegnen kann, was schon mehreren begegnet ist: sie haben den Fluch auch gelöst, – aber nach Verlauf eines Jahres, und oft noch früher, hat der Tempel schon wieder einen Grund gefunden, ihre Herberge von neuem wieder mit einem Fluche zu belegen, und der dadurch Benachteiligte mußte dann das doppelte Lösegeld zahlen, so er seine Sache entflucht haben wollte. Denn es heißt ja in eurer Regel: ,Wenn der erste Fluch durch ein Opfer gelöst ist, aber aus bestimmten Gründen dieselbe Sache vom Tempel aus noch einmal mit einem neuen Fluche belegt wird, so macht der neue Fluch den alten auch wieder geltend, und es müssen darum zwei Flüche gelöst werden. Und auf diese Weise kann sich die Sache bis zum zehnten Fluche steigern.‘
[153,07] Um aber diesen höchst unnötigen Geldausgaben zu entgehen, läßt man den ersten Fluch stehen, besonders so er einem mehr nützt als schadet, und wird ein fester römischer Bürger, – und der Tempel kann dann im schwarzen Buche von Zeit zu Zeit zusammenaddieren und sich die Summe anschauen, wie gut sie in den großen Opferstock zu legen wäre, wenn sie jemand bezahlete!
[153,08] Dafür also, daß ihr, nun meine lieben Freunde, mir aus eurem Schatze das Lösegeld geben wollet, tuet anderen verschämten Armen Gutes, weil ich den Tempelfluch wirklich recht gut brauchen kann! Also könnet ihr auch mit dem Gelde tun, das ihr mir für den von euch mir zugefügten Schaden zu geben willens seid; denn ich bin – dem Herrn alles Lob – schon lange für alles mehr denn tausendfach entschädigt. Und so wollen wir, wenn ihr allen Ernstes das tun wollet, was ihr diesem jungen Freunde versprochen habt, auch so die besten Freunde für immer verbleiben!“
[153,09] Sagte der eine Pharisäer: „Das werden wir; denn wir haben hier Dinge
erlebt, die uns ins höchste Erstaunen gesetzt haben und nach allen Richtungen, hin und her, die allerpurste Wahrheit sind, während dagegen unser ganzes Tempeltum schon ganz rein des Satans ist. Wir werden uns daher ehestmöglich ganz aus dem Tempel entfernen, wie das schon mehrere getan haben, und werden dann ganz unserer inneren Überzeugung leben. 

[153,10] Dieser junge, gottähnliche Freund, vor dem auch unsere innersten Gedanken nicht sicher sind, kann es dir sagen, daß wir dazu metallfest entschlossen sind; aber nur den berühmten Galiläer möchten wir zuvor noch sehen und sprechen und aus seinem Munde einige Weisungen empfangen, was wir etwa noch zu tun haben, um möglicherweise noch eher nur zu einem geringsten Grade der inneren Lebensvollendung zu gelangen, als wir das Zeitliche mit dem Ewigen vertauschen werden.“
[153,11] Sagte Lazarus: „Aber es hat euch der junge Freund, ein echter Diener des
Herrn, ja ohnehin alles gezeigt und gesagt, was ihr für die Erreichung der inneren Lebensvollkommenheit zu tun habt; ein mehreres wird euch auch der Herr Selbst nicht
sagen!“
[153,12] Sagte der Pharisäer: „Freund, da hast du wohl ganz recht – denn es kann ja nur eine Wahrheit geben –; aber diesen großen Mann Gottes nur zu sehen, muß für den, der an ihn zu glauben angefangen hat, ja auch eine noch größere Zuversicht erwecken, als so man bloß mit seinen Dienern und Jüngern spricht! Es ist bei uns wahrlich keine eitle Neugier, ihn zu sehen und zu sprechen; sondern weil solches von ihm gehört und nun auch gesehen haben, so ist in uns eine große und mächtige Liebe zu ihm erwacht, und eben darum möchten wir ihn selbst irgendwo sehen und sprechen. Der gotterfüllte junge Freund wird es sicher ganz genau wissen, wo er, der Geheiligte Gottes, sich nun aufhält! Wäre er nun auch irgendwo in Galiläa, so möchten wir ihm sogleich nachziehen, ihn aufsuchen und ihn um Lehre und Rat bitten.“ 

[153,13] Sagte Lazarus: „Hat Er ja doch schon zu öfteren Malen im Tempel das Volk gelehrt! Habt ihr Ihn da denn nicht gesehen und gar leicht selbst gesprochen?“
[153,14] Sagten die Pharisäer: „Du weißt es ja ohnehin, daß der sogenannte Hohe Rat im Tempelteile, der fürs Volk bestimmt ist, beinahe gar nie zu sehen ist, weil er da nichts zu tun hat, und so haben wir es wohl vernommen, daß er im Tempel war und daß er auch große Zeichen gewirkt habe, – aber gesehen und gesprochen haben wir ihn nicht! Und so möchten wir ihn denn eben jetzt aufsuchen, sehen und, wenn möglich, sprechen!“
[153,15] Sagte Lazarus: „Aber ich weiß es, daß doch viele Pharisäer, Schriftgelehrte und Älteste im Tempel Ihn gesehen und gesprochen haben und gegen Ihn auch so feindlichst gesinnt wurden, weil Er ihnen ihre Ungerechtigkeiten und Betrügereien vor dem Volke vorhielt! Da ist es ja um so merkwürdiger, daß ihr im Hohen Rate nun nichts eifriger zu beschließen hattet, als wir ihr den Herrn irgend fangen und dann aber auch sogleich töten könntet! Und ihr als nach dem Hohenpriester die ersten Machthaber solltet im Ernste Ihn bisher noch nicht gesehen und gesprochen haben?! Wahrlich, das klingt denn doch ein wenig sonderbar!“
[153,16] Sagte der Pharisäer: „Das sicher, und doch ist es also! Ich sage dir nun sogar das, daß der große Heilsmann sich nun sogar unter euch befinden könnte, und wir würden ihn sicher nicht erkennen, so er selbst sich uns nicht zu erkennen geben würde! Wir hielten heimlich schon diesen wahren zweiten Samuel dafür; nur kam er uns denn doch etwas zu jung vor, da wir vernommen haben, daß der große Heilsmann schon bei dreißig Jahre Alters haben soll, was uns aber auch nicht ganz genau bekannt ist. Aber wir haben nun nur die größte Sehnsucht, ihn selbst zu sehen und zu sprechen! Darum sage es uns doch, wo wir ihn sehen und sprechen können!“
[153,17] Hierauf schwieg Lazarus, da er merkte, daß Ich Selbst bei dieser
Gelegenheit aus der Hütte hervortrat und zu ihm herabkam.

154. Kapitel
[154,01] Die Pharisäer aber wandten sich, da ihnen Lazarus keinen Bescheid gab, wieder an Raphael und sagten: „Aber sage du uns doch, warum wir von euch nicht erfahren dürfen, wo sich nun der große Heilsmann aus Galiläa aufhält!“
[154,02] Hier trat Ich vor die Pharisäer und sagte: „Hier bin Ich, ein guter Hirte unter Meinen Lämmern, und fliehe nicht, so da Wölfe sich Meiner Herde nahen; denn diese Lämmer sind Mein eigen. Ich bin kein Mietling, der die Flucht ergreift, wenn er den Wolf unter seine Herde kommen sieht. Der Mietling flieht, weil die Schafe nicht sein eigen sind. Was kümmert ihn das Eigentum seines Dienstherrn?!
[154,03] Ich aber bin der Herr Selbst, habe lieb Meine Schafe, weil sie Mein eigen
sind, Mich kennen und Meine Stimme allzeit wohl vernehmen, wenn Ich sie rufe.
[154,04] Ihr seid zwar auch Hirten; aber die Schafe sind nicht euer Eigentum. Wenn
ihr von ihnen nur Wolle habt, dann kümmert ihr euch wenig mehr darum, ob die schon oft geschorenen Schafe von Wölfen oder Bären zerrissen werden; denn das Fleisch der Schafe ist ja ohnehin nicht euer.
[154,05] Ihr seid anfangs auch als reißende Wölfe unter diese Meine Herde
gekommen, – aber Ich als ihr guter Hirte bin darum nicht geflohen und habe nicht verlassen diese Meine Herde; denn ehe Ich diese Herde verließe, gäbe Ich Mein Leben für sie. Tätet
auch ihr das für eure Herde?“
[154,06] Sagte ein Pharisäer: „Herr und Meister, wahrlich, bis zu dieser Stunde
hätten wir das nicht getan; aber nun, da wir der hohen Gnade teilhaftig geworden sind, dich selbst persönlich kennengelernt zu haben, würden wir als auch nur deine letzten Mithirten auch unser Leben für die Sicherung deiner Schafe wahrlich in die Schanze schlagen! Ja, wir selbst waren gegen die Menschen bisher nichts als reißende Wölfe in Schafpelzen! Aber es ist uns hier ein großes Licht aufgegangen, wir haben unsere Gesinnung gänzlich geändert und wollen von nun an auch deine Jünger sein. Denn in unserer Tempellehre waltet nichts als Tod und Gericht und des Lebens größte Nacht und Finsternis; aber in deiner Lehre ist Licht, Leben und dessen nie besiegbare Kraft, wovon wir die allerüberzeugendsten Beweise gesehen haben. 

[154,07] Darum haben wir denn auch den festen Entschluß gefaßt, den Tempel für
immer zu verlassen und uns ganz nach deiner Lehre zu richten, um dadurch vielleicht noch einen nur geringsten Grad der wahren, inneren Lebensvollendung zu erreichen, wozu uns dein junger Diener, wie zuvor auch dieser Mann aus Oberägypten, denn Weg ganz hell erleuchtet gezeigt haben. Wir wollten aber dennoch auch dich selbst noch näher kennenlernen, um von dir selbst etwa noch nähere Anweisungen dahin zu bekommen, was alles wir tun sollen, um deiner Gnade nur in einem ganz geringen Grade teilhaftig zu werden.
[154,08] Vergib uns aber zuvor auch unsere vielen und großen Sünden, besonders jene, die wir unmöglich mehr irgend wieder gutmachen können! Was wir aber wieder gutmachen können, das werden wir aus Liebe zu dir auch also wieder gutzumachen uns eifrigst bestreben, wie du solches uns anzudeuten die Güte und Gnade haben wirst. Zugleich aber bitten wir dich, o Herr und Meister, auch darum um Vergebung, daß wir dir hier lästig geworden sind!“
[154,09] Sagte Ich: „Ja, ja, es wäre nun das von euch schon alles noch recht, wenn ihr nicht gar so viel und gar so gewissenlos gesündigt hättet! Ein derartiges und vieljähriges Sündigen ohne Unterlaß wider Gott, wider alle Nebenmenschen und sogar wider alle Natur hat eure Seelen derart geschwächt und so gänzlich verunstaltet, daß es euch wohl eine sehr große Mühe kosten wird, bis eure Seele in euch ein menschliches Aussehen bekommen wird. 

[154,10] Ihr wußtet in eurer hochaufgeblähten Weltblindheit freilich nicht, was ihr tatet, und seid nur darum etwas zu entschuldigen; aber es hat von Mir aus an euch geheim ins Herz gelegten Ermahnungen auch nie gemangelt, die euch laut sagten: ,Fürchte Gott und tue nicht Unrecht den Menschen!‘ Aber dieser Ermahnungen achtetet ihr nicht, und einer hielt den andern eure bösen Menschensatzungen vor und sagte: ,Es ist klüger, strenge nach den einmal aufgestellten Satzungen zu handeln, als sich zur Unzeit seinen eigenen Barmherzigkeitsgefühlen zu überlassen und dann zum Gespött der Angesehenen und Mächtigen des Landes zu werden!‘ Das hat euch endlich ganz entmenscht, und ihr wurdet in eueren Seelen zu den allerwildesten und reißendsten Raubtieren. Und sehet, da steckt es nun bei euch! Wie werdet ihr nun aus euren blutdürstigen wahren Tigerseelen Menschenseelen machen?“
[154,11] Sagten mehr kleinlaut die beiden Pharisäer: „Ja, Herr und Meister, der du uns auch inwendig durchschauest, das alles wird sich wohl sicher genaust also verhalten, wie du das uns nun allergnädigst geoffenbaret hast; aber eben darum möchten wir ja von dir einen Rat bekommen, wie uns zu helfen wäre. Wie wir von deinen Dienern erfahren haben, so sind dir ja alle Dinge möglich, und wir sind da denn nun auch voller Zuversicht, daß du auch uns noch wirst helfen können, wenn du nur willst. Wahrlich, Herr und Meister, wir sind allerfestest bereit, alles zu tun, was du uns zur Besserung unserer Seele nur immer anraten wirst!“

155. Kapitel
[155,01] Sagte Ich: „Versprechen ist um vieles leichter, als das Versprochene halten! Ihr hänget noch zu sehr an der Welt und an euren großen Schätzen, an denen viel Blut von Witwen und Waisen klebt, und das ist für die Weltmenschen stets jene große Kluft, über die sie höchst schwer kommen.
[155,02] Doch wie bei Gott alle Dinge möglich sind, so ist es auch dem noch so verstockten Weltmenschen und Sünder möglich, sich bald und wirksam zu ändern, wenn er ernstlich im vollen Glauben und Vertrauen auf Gott das tut, was die göttliche Weisheit ihm rät. Er muß da an sich selbst durch einen plötzlichen Umschwung seines Willens ein wahres Wunder wirken, und zwar in der gänzlichen Selbstverleugnung bezüglich aller seiner früheren Schwächen, Gewohnheiten, Gelüste und argen Leidenschaften, die aus ungegorenen und sehr unlauteren Naturgeistern seines Fleisches in die Seele aufsteigen und sie verunreinigen und verunstalten.
[155,03] Nun zählet aber nach, mit wie vielen allerartigen Leidenschaften ihr behaftet seid! Fasset den ernstesten Willen, sie alle zu verlassen und dann Mir nachzufolgen! Könnet ihr das, so könnet ihr auch bald zu einer inneren Lebensvollendung gelangen; aber ohne das ist es sehr schwer und sehr mühevoll.“
[155,04] Sagten die Pharisäer: „Was den ernsten Willen anbelangt, so soll es bei uns an solchem keinen Mangel haben; denn hatten wir doch des ernstesten Willens zur Sünde in Hülle und Fülle, warum sollten wir ihn nicht auch haben zur Erfüllung des Guten?“
[155,05] Sagte Ich: „Ja, ja, da habt ihr eben nicht unrecht geredet! Aber der Wille zur Sünde findet im Menschen stets eine große Unterstützung, und zwar in den Anreizungen und Leidenschaften seines Fleisches; aber für den Willen zum Guten findet er in seinem Fleische gar keine Unterstützung, sondern allein im Glauben an einen wahren Gott, und besonders in der Liebe zu Ihm, und dazu auch in der Hoffnung, daß die von Gott ihm gemachten Verheißungen in volle Erfüllung gehen werden.
[155,06] Wer sonach durch den festen und lebendigen Glauben, durch die Liebe zu Gott und zum Nächsten und durch die ungezweifelte Hoffnung alle die argen Leidenschaften seines Fleisches bekämpfen kann und sonach völlig Herr über sich wird, der wird dann auch bald Herr der ganzen äußeren Natur und befindet sich eben dadurch, daß er vollkommen Herr über sich geworden ist, auch schon im ersten Grade der wahren, inneren Lebensvollendung, obwohl es da noch zu öfteren Malen an allerlei Versuchungen keinen Mangel haben wird, die ihn zur Begehung einer oder der andern leichten Sünde reizen werden.
[155,07] Versteht er nun auch, mit allen seinen Sinnen dahin einen festen Bund zu
schließen, daß sie sich von allen irdischen Anreizungen abwenden und sich pur dem rein geistigen Wesen zukehren, so ist das schon ein sicheres und lebenslichtvolles Zeichen, daß der innere Geist aus Gott die Seele ganz durchdrungen hat, und der Mensch befindet sich da im zweiten Grade der inneren, wahren Lebensvollendung.
[155,08] In diesem Grade ist dem Menschen auch jene Stärke und Lebensfreiheit eigen geworden, daß er, weil er in seiner Seele ganz erfüllt ist mit dem Willen Gottes und nach demselben handeln kann, keine Sünde je mehr begehen kann; denn da er selbst rein geworden ist, so ist ihm auch alles rein.
[155,09] Aber obwohl der Mensch da schon ein vollkommener Herr der gesamten Natur ist und die hellste Überzeugung in sich hat, daß er unmöglich mehr fehlen kann, da all sein Tun von der wahren Weisheit aus Gott geleitet wird, so ist und bleibt er dadurch doch nur im zweiten Grade der inneren Lebensvollendung.
[155,10] Aber es gibt noch einen dritten und allerhöchsten Grad der innersten Lebensvollendung.
[155,11] Worin aber besteht denn diese, und wie kann der Mensch sie erreichen?
[155,12] Diese besteht darin, daß der vollendete Mensch, wohl wissend, daß er nun als ein mächtiger Herr der ganzen Natur ohne Sünde tun kann, was er nur immer will, aber dennoch seine Willenskraft und Macht demütig und sanftmütig im Zaume hält und bei jedem seinem Tun und Lassen aus der pursten Liebe zu Gott nicht eher etwas tut, als bis er unmittelbar von Gott aus dazu beordert wird, – was eben für den vollendeten Herrn der Natur auch noch eine recht starke Aufgabe ist, weil er in seiner vollen Weisheit allzeit erkennt, daß er nach dem in ihm selbst wohnenden Willen aus Gott nur recht handeln kann.
[155,13] Doch ein noch tiefer gehender Geist erkennt es auch, daß zwischen dem sonderheitlichen Willen Gottes in ihm und dem freiesten und endlos allgemeinsten Willen in Gott noch ein großer Unterschied besteht, weshalb er seinen sonderheitlichen Willen ganz dem allgemeinsten göttlichen Willen vollkommen unterordnet und nur dann aus schon immer eigener Kraft etwas tut, wenn er dazu unmittelbar von dem alleinigen und eigensten Willen in Gott beordert wird. Wer das tut, der ist in sich zur innersten und allerhöchsten Lebensvollendung gelangt, welche da ist die Lebensvollendung im dritten Grade.
[155,14] Wer diese erlangt, der ist auch völlig eins mit Gott und besitzt gleich Gott die höchste Macht und Gewalt über alles im Himmel und auf Erden, und niemand kann sie ihm ewig mehr nehmen, weil er vollkommen eins mit Gott ist.
[155,15] Aber zu dieser höchsten Lebensvollendung, in der sich die Erzengel befinden, kann niemand gelangen, bevor er nicht den ersten und zweiten Grad der Lebensvollendung erlangt hat.
[155,16] Es hat aber ein jeder Erzengel die Macht, alles das in einem Augenblick zu bewirken, was endlos alles Gott Selbst bewirken kann; aber dessenungeachtet wirkt doch kein Erzengel pur aus sich etwas, sondern erst dann, wenn er dazu von Gott Selbst beheißen ward. Darum bitten selbst die höchsten Erzengel Gott allzeit, so sie diese oder jene Mängel, besonders bei den Menschen dieser Erde, sehen, daß Gott sie beheißen möge, dieses oder jenes zu tun.
[155,17] Sehet diesen Jüngling an! Er befindet sich im vollen dritten Grade der inneren Lebensvollendung, und sein Wille ist schon so gut wie eine vollbrachte Tat; aber er tut dennoch aus sich heraus und für sich nichts, sondern nur das, was Ich will. So Ich ihm aber sage: ,Nun handle pur aus dir und für dich!‘, so wird er dann auch das tun und zeigen, was in ihm ist.“
[155,18] Sagten die Pharisäer: „So ist der junge Mensch schon einem Erzengel gleich; denn Dein Inneres solle ja eben die Fülle des puren Geistes Gottes sein?“
[155,19] Sagte Ich: „Ja, ja, selig der, der das in seinem Herzen glaubt!“ 


156. Kapitel
[156,01] Sagten die Pharisäer: „Herr und Meister! Wir haben nun die Schwierigkeiten zur Erlangung der inneren Lebensvollendung, aber auch die endlosen Vorteile aus deinem wahrhaft göttlichen Munde vernommen. Die Schwierigkeiten haben uns nicht entmutigt, alles zu tun, was du uns nur immer vorschreiben wirst. Sollen wir uns auch unter den größten Schmerzen körperlich verstümmeln, so sind wir auch dazu vollernstlich bereit!“
[156,02] Sagte Ich: „Oh, das wäre die größte Torheit; denn wer einen Feind wahrhaft besiegen will, der muß sich ihm im offenen Felde entgegenstellen und sich nicht hinter allerlei Bollwerk verschanzen. Denn so der Feind die Schanzen sieht, da steht er freilich auf eine Weile vom offenen Angriff ab, weil er erkennt, daß er so dem wohlverschanzten Gegner mit seiner Macht nicht gewachsen ist; aber er belagert den wohlverschanzten Gegner und zieht dann von allen Seiten Verstärkungen an sich. Wenn sich der Feind dann stark genug fühlt, so greift er den noch immer wohlverschanzten Gegner an und besiegt ihn mit leichter Mühe. 

[156,03] Aber Ich setze sogar den Fall, daß der Feind dem wohlverschanzten Gegner dennoch nichts hat anhaben können, solange dieser innerhalb seiner starken Schanzen blieb. Aber der Gegner wird, aus Furcht vor dem stärkeren Feinde, doch nicht ewig innerhalb seiner Schanzen bleiben können. Er wird dieselben endlich doch einmal verlassen und das offene Feld betreten müssen. Wie wird es ihm aber dann ergehen, so ihn der irgendwo geheim lauernde Feind angreifen wird? Ich sage es euch: dieser zweite offene Kampf wird ihm dann um vieles beschwerlicher werden, als so er den Feind gleich das erstemal offen angegriffen hätte!
[156,04] Der Mensch kann sich auf der Welt freilich von der Welt ganz abziehen gleich den Einsiedlern des Karmel und Sion, die da kein Weib ansehen und sich kümmerlich von Wurzeln und allerlei Beeren, wildem Honig und Johannisbrot ernähren. Auch verschneiden sie sich sogar des Reiches Gottes wegen, weil sie dann in keine Versuchung geraten können, in der sie irgendein Gebot Mosis übertreten könnten. Sie haben darum kein Eigentum, haben keine Eltern, haben keine Weiber und Kinder, haben selbst keine Männlichkeit. Sie bewohnen wilde Bergschluchten, damit die Schönheit der üppigen Erdfluren sie nicht reizt; sie reden nicht miteinander, damit nicht jemandem ein Wort aus dem Munde fahre, das ihn oder seinen Nachbarn ärgern könnte.
[156,05] Unter solchen höchst dummen Lebensabstraktionsverhältnissen und unter solchen Verwahrungen vor der Möglichkeit, eine Sünde zu begehen, halten sie freilich wohl die Gesetze Mosis; aber zu wessen Nutzen und Frommen? Ich sage es euch: Das nützt ihnen nichts und den anderen Menschen auch nichts! Denn Gott hat dem Menschen die verschiedenen Kräfte, Anlagen und Fähigkeiten nicht darum gegeben, daß er sie in irgendeiner Klause als Einsiedler verschlafen soll, sondern daß er nach dem geoffenbarten Willen Gottes tätig sei und dadurch sich und seinem Nächsten nütze.
[156,06] Also hat Gott zu den Menschen auch niemals gesagt: ,Verstümmle und
verschneide dich, auf daß dich das Fleisch des Weibes nicht reize und du dich enthaltest der Hurerei und des Ehebruchs!‘, sondern Gott hat zu Adam, als Er ihm das Weib gab, nur gesagt: ,Gehet hin, vermehret euch und bevölkert die Erde!‘ Und bei Moses heißt es: ,Du sollst nicht Unzucht und Hurerei treiben, sollst nicht begehren deines Nächsten Weib und sollst nicht ehebrechen!‘
[156,07] Der Mensch muß also in der Welt wirken und freiwillig den bösen Verlockungen der Welt widerstehen. Dadurch wird stark seine Seele, und die Kraft des Geistes Gottes wird sie durchdringen. Aber durch ein Leben des Faultieres kommt kein Mensch je zum wahren, ewigen Leben, das in sich die höchste und vollendetste Tätigkeit in all den zahllos vielen Lebensschichten und Sphären bedingt.
[156,08] Solche Menschen sündigen freilich so wenig, wie irgendein Stein sündigt; aber ist das etwa ein Verdienst für den Stein? Es wird aber die Seele ihren verstümmelten Leib ablegen müssen; was wird sie dann jenseits machen in ihrer vollsten Schwäche und gänzlichen Untätigkeit?
[156,09] Dort werden dann doch die Prüfungen aller Art über sie kommen, die sie zur
vollen und wahren Lebenstätigkeit aneifern sollen, und diese Prüfungen werden für die mit ihren schon diesirdischen Fähigkeiten ausgestattete Seele ganz entsprechend dieselben sein, die sie hier waren, aber für die pure Seele sicher notwendig stärker denn hier, weil jenseits das, was eine Seele denkt und will, sich auch schon wie in der Wirklichkeit vor sie hinstellt. 

[156,10] Hier hat sie nur mit ihren unsichtbaren Gedanken und Ideen zu tun, die sie leichter bekämpfen und sich auch deren entschlagen kann; aber wo die Gedanken und Ideen zu einer wohl sichtbaren Realität werden – frage –, wie wird die schwache Seele da wohl ihre eigengeschaffene Welt bekämpfen? Wen hier der pure Gedanke zum Beispiel an seines Nachbarn schönes, junges Weib schon mit allen brennenden Leidenschaften erfüllt, wie wird es dem dann ergehen, so ihm der Gedanke des Nachbarn Weib ganz nach seinem Wunsche und Willen in der vollsten, wennschon nur scheinbaren Wirklichkeit darstellen wird?! 
[156,11] Darum also wird es drüben mit den Versuchungen wohl um vieles schlimmer sich gestalten denn hier. Und was wird die Seele wohl geben können, um sich aus der harten Gefangenschaft ihrer eigenen bösen Leidenschaften zu befreien? Und doch wird sie drüben um gar vieles selbsttätiger werden müssen, um sich aus dem Irrsal ihrer eigenen Gedanken, Ideen und Bilder zu befreien; denn bevor sie nicht zuerst selbst Hand ans Werk legen wird, wird ihr keine Hilfe durch irgendein unvermitteltes Erbarmen Gottes oder irgendeines andern Geistes zugute kommen, wie solches auch schon hier auf Erden zum größten Teil der Fall ist.
[156,12] Denn wer da Gott nicht ernstlich sucht, sondern ganz den Gelüsten der Welt nachgeht, der verliert Gott, und Gott wird ihm keine Zeichen geben, aus denen er erkennen könnte, wie tief und wie weit er schon von Gott abgewichen ist. Erst wenn er aus eigenem Antrieb und Bedürfnis Gott wieder zu suchen anfangen wird, wird Gott Sich auch ihm zu nahen anfangen und Sich vom Suchenden auch insoweit finden lassen, inwieweit es dem Suchenden ein wahrer Ernst ist, Gott zu finden und zu erkennen.
[156,13] Darum ist es also mit der gewissen frommen Trägheit gar nichts; denn sie hat vor Mir keinen Lebenswert!“ 
157. Kapitel
[157,01] (Der Herr:) „Wer zu Mir wohl sagt: ,Herr, Herr!‘, der ist noch ferne vom wahren Reiche Gottes; wer aber an Mich glaubt und das tut, was zu tun Ich ihn gelehrt habe, der wird das auch erreichen, was ihm verheißen und gezeigt ist, und wird erst durch das Tun in sich gewahr werden, daß die Worte, die Ich geredet habe, nicht Menschenworte, sondern wahrhaft Gottesworte sind; denn Meine Worte sind in sich selbst Liebe, Licht, Kraft und Leben. Meine Worte tun euch offen kund Meinen Willen. Wer aber Meinen Willen in sich aufnimmt und danach tut, der wird in sich das ewige Leben haben und wird leben fort und fort, so er auch, wenn es möglich wäre, dem Leibe nach stürbe viele hundert Male.
[157,02] So ihr aber schon einen so großen Ernst habt, sobald als möglich wenigstens in den ersten Grad der inneren Lebensvollendung zu gelangen, dann gehet heim, teilet eure sehr überflüssigen großen Schätze unter die gar vielen Armen, und kommet dann und folget mir nach, so werdet ihr euch dadurch den für euch noch sehr langen und weiten Weg zum Reiche Gottes sehr abkürzen! In Meiner Nachfolge aber sollet ihr ebenso einfach bekleidet einhergehen, wie ihr da sehet, wie höchst einfach auch Ich und alle Meine wahren Jünger bekleidet sind. Ihr brauchet da keinen Stock und in eurem Rock und Mantel keine Säcke sondern allein ein williges und offenes Herz; für alles andere wird schon der Vater im Himmel sorgen!“
[157,03] Bei diesem Rate machten die zwei Pharisäer wie auch die zwei Leviten ganz bedeutend saure Gesichter, und der eine Pharisäer sagte: „Herr und Meister, ich sehe wohl ein, daß du da höchst wahr und recht geredet hast; aber bedenke, daß wir Weiber und Kinder haben, die wir zuvor denn doch in eine gewisse Ordnung bringen und mit dem Nötigsten versorgen müssen! Haben wir das ehestmöglich abgetan, dann wollen wir unseren Überfluß schon unter die Armen verteilen und dir dann mit freudigem Herzen nachfolgen.“
[157,04] Sagte Ich: „Sind denn eure Weiber und Kinder besser als jene gar vielen Witwen und Waisen, die ihr um all ihre Habe gebracht und in die größte Not und in das größte Elend gestürzt habt? Wenn diese nun durch schweres Tagewerk sich ihr kümmerliches Brot verdienen müssen, während eure Weiber und Kinder im ungerechten Überflusse prassen und sich vor lauter Hochmut noch obendrauf nicht zu helfen wissen und verächtlich dahin spucken, wo die arme Witwe mit ihren halbnackten und durch den Hunger abgezehrten Kindern um einen kargen Lohn arbeitet, deren Güter ihr auf die ungerechteste und liebloseste Weise verschlungen habt, – was Ungerechtes wäre dann das etwa, so auch eure stolzen und übermütigen Weiber und Kinder einmal in dieser Welt darbten und dadurch zu der für ihre Seelen höchst wohltätigen Erkenntnis kämen, wie wohl es etwa den armen Witwen und Waisen getan hat, vor denen sie oft ausgespuckt und sie ein zerlumptes Gesindel genannt haben, das kaum wert sei, von der Sonne beschienen zu werden!
[157,05] Doch Ich will euch damit ja nicht irgend bemüßigen, daß ihr das tun sollet; denn euer Wille ist ebenso frei wie der Meinige; aber da ihr Mich um Rat gefragt habt, was ihr tun sollet, um desto eher zur inneren Lebensvollendung zu gelangen, so habe Ich euch auch den ganz rechten und vollwahren Rat gegeben.
[157,06] Ich habe es euch aber ja auch schon zum voraus gesagt, daß ein Versprechen geben viel leichter ist, als dasselbe halten. Ich sage euch aber noch hinzu: Wer um Meines Namens willen nicht Haus, Acker, Weib und Kind verlassen kann, der ist Meiner auch noch lange nicht wert; und wer seine Hände an den Pflug des Reiches Gottes legt, sich aber dabei noch umsieht nach den Dingen der Welt, der ist noch lange nicht geschickt zum Reiche Gottes! Das wisset ihr nun; tuet, was ihr wollet!“
[157,07] Sagte der Pharisäer: „Aber, Herr und Meister, siehe, dein sicher wahrer
Freund Lazarus, wie auch Nikodemus und Joseph von Arimathia sind sicher noch um sehr vieles reichere Menschen, als wir da sind! Warum verlangst denn du von ihnen nicht das, was du von uns verlangt hast?“
[157,08] Sagte Ich: „Zwischen ihren und euren Gütern ist ein gar himmelgroßer und – hoher Unterschied! Ihre Güter sind durchaus ein streng gerechtes Besitztum. Sie sind gerechte Stammgüter, und die darin enthaltenen, wahrlich königlich großen Schätze sind das Produkt eines wahren und doch höchst uneigennützigen Fleißes und des wirksamen Segens aus den Himmeln Gottes. Zugleich sind die drei Genannten nun beinahe die einzigen Unterstützer der vielen Tausende, die durch euer gottloses Treiben und Gebaren arm und elend geworden sind. Sie sind somit noch die wahren Sachwalter Gottes auf Erden über die ihnen anvertrauten Güter der Erde und betrachten ihre Güter auch als nichts anderes als nur als das, was sie als ein Geschenk von oben sind, das sie zur Versorgung der vielen Armen zu verwalten und zu bestellen haben.
[157,09] Ist das etwa auch mit euren zusammengeraubten Gütern der gleiche Fall?! Ja, solche Menschen sollten nur noch viel mehr besitzen und könnten das auch auf die gerechteste und Gott wohlgefälligste Weise, wenn ihr ihnen nicht durch allerlei List und Betrug und auch Gewalt gut die Hälfte abgenommen hättet. Ihr habt euch dann damit gemästet, und sie mußten so manchen Armen darum karger beteilen. War das dann etwa auch eine Gott wohlgefällige Handlung von euch, und konnte Gott solche eure Güter je segnen? Ja, der Segen der Hölle ruht darauf, aber der Segen Gottes sicher nicht; denn ruhte darauf Gottes Segen, so könnte Ich euch davon wohl die wahrste Kunde geben!
[157,10] Vergleichet euch darum ja nicht mit diesen dreien und auch nicht mit diesen hohen Römern da, die auch überreich sind, aber ihr Reichtum ist ein gerechter! Und auch sie sind die Wohltäter von vielen Tausenden und haben des Segens von oben in Hülle und Fülle, obschon sie Heiden sind; aber sie stehen als solche Gott um ein Unaussprechliches näher denn ihr als Juden.
[157,11] Von solchen weltreichen Menschen, wie ihr da seid, sage Ich in Meiner vollsten göttlichen Macht und Kraft zu euch, wie Ich das schon einem euch sehr ähnlichen Reichen gesagt habe: Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, denn ein solcher Reicher in das Reich Gottes! – Habt ihr das nun vernommen?“
[157,12] Sagten nun die Pharisäer: „O Herr und Meister, wir erkennen nun nur zu sehr die Wahrheit deiner Worte und haben auch schon in uns den vollen Entschluß gefaßt, deinen Rat genau zu befolgen; aber wir bitten dich, daß du uns dazu die gehörige Kraft und den rechten Mut erteilen mögest! Denn jetzt erst fangen wir an, so recht innezuwerden, wie schwer es für die Seele ist, die einmal von der Macht der Hölle ergriffen ist, sich aus deren Gewalt frei zu machen. Wenn du, o allmächtiger Herr und Meister, einem Gefangenen nicht hilfst, so bleibt er gefangen in Ewigkeit!“
[157,13] Sagte Ich: „Jawohl, da habt ihr recht geredet; daher sollet ihr jeden ungerechten Pfennig dem ersetzen, den ihr darum betrogen habt! Denn so ihr das nicht tuet, so könnet ihr in das Reich Gottes nicht eingehen, und gleich euch auch nicht ein jeder andere. 

[157,14] Aber da ihr gar vielen von denen, die ihr betrogen habt, den ihnen zugefügten Schaden unmöglich wieder gutmachen könnet, so verteilet alles, was ihr habt, mit gutem Willen und Herzen unter die Armen, und habt darum keine Furcht vor der Welt, dann werden euch eure vielen Sünden erlassen werden, und ihr möget dann kommen und Mir nachfolgen! Wo Ich aber sein werde, werdet ihr gar leicht erfahren, wenn es euch ernst ist, Mir nachzufolgen. Es wird euch das wohl einen starken Kampf kosten; aber wer da gerecht und klug kämpft, der siegt auch sicher, und ein sicherer Sieg ist doch wohl auch sicher allzeit des Kampfes wert.
[157,15] Nun habe Ich euch alles gesagt, was ihr zu tun habt, und ihr könnet euch mit der Unwissenheit nimmer entschuldigen. Von nun an kommt es auf euren Willen und auf eure Klugheit an.“ 


158. Kapitel
[158,01] Sagte ein Pharisäer: „Herr und Meister, wir dürfen also nach deinem Worte
die gerechte Klugheit und Vorsicht bei der Verteilung unserer Schätze an die Armen wohl anwenden?“
[158,02] Sagte Ich: „Was Ich einmal gesagt habe, das ist gesagt für die Ewigkeit;
denn dieser ganze sichtbare Himmel und diese Erde werden vergehen, aber Meine Worte ewig nimmer.
[158,03] So jemand aber selbst die beste Handlung beginge, stellte aber die Sache
dumm an, so hat eine solche Handlung keinen Wert, weil durch sie das Gute nicht erreicht wird. Wenn jemand aber seinem Nächsten etwas Gutes tun will, so tue er das nicht vor den Augen der Welt und lasse sich darum nicht öffentlich loben und preisen, sondern er tue das im
geheimen also, daß nahe seine Rechte nicht weiß, was die Linke tut, und Gott, der auch das Geheimste sieht, wird solche Werke mit Seinem Segen belohnen!
[158,04] Wäre das aber klug, so ihr eure Schätze darum dem Tempel übergäbet,
damit dieser sie unter die Armen verteile? Der Tempel würde euch darum wohl offen vor aller Welt selig preisen, doch den Armen wäre damit wahrlich nicht geholfen!

[158,05] Aber suchet euch einen gerechten Mittelsmann, und ihr werdet da am besten gehandelt haben; eure Namen bleiben unbekannt, ihr entgehet dem Lob und Preis der Welt, und den Armen ist da am besten geholfen! Denn es ist besser, bei einem gerechten Mittelsmann für viele Arme eine Versorgung nach rechtem Ziel, Maß und Bedürfnis zu gründen, als einem oder dem andern Armen auf einmal viel Geld in die Hand zu geben; denn das könnte gar leicht den armen, schon sehr demütig gewordenen Menschen in den Hochmut erheben und seine geduldige und gottergebene Seele verderben.
[158,06] Einen solchen Mittelsmann aber werdet ihr schon gar leicht finden. Ich kann euch hier gleich fünf anzeigen. Da ist Nikodemus oder Joseph von Arimathia, der Freund Lazarus oder da der Wirt im Tale von Unter-Bethania oder der neben ihm stehende große Herbergswirt an der großen Heerstraße unweit Bethlehem.
[158,07] Und so habe Ich euch denn auch diesen Weg gezeigt; wenn es den Eurigen karg gehen sollte, würden sie bei diesen auch sicher am ehesten eine nötige und Mir Selbst wohlgefällige Unterkunft für Leib und Seele finden.“
[158,08] Sagten die Pharisäer: „Herr und Meister, wir danken dir, daß du uns auch diesen Rat gegeben hast! Noch heute zum Teil, ganz gewiß aber am ersten Tage nach dem Sabbat soll er ins Werk gesetzt werden! Oh, durch diesen deinen Rat ist uns ein schwerer Stein von unserer Brust genommen worden! Ja, nun haben wir ein leichtes Handeln und Fürgehen!
[158,09] Wie wäre es denn, Herr und Meister, so wir jedem von den uns angezeigten Freunden einen Teil unserer Schätze übergäben, damit auf einen nicht zu viel der Versorgungsmühe käme?“
[158,10] Sagte Ich: „Das kommt nun auf euch an; da ist das eine so gut wie das andere!“
[158,11] Mit dem waren nun die beiden jetzt gänzlich bekehrten Pharisäer völlig zufrieden, gingen hin zu den fünfen und besprachen sich mit ihnen.
[158,12] Aber da traten auch die beiden Leviten zu Mir und sagten: „Herr und Meister, was sollen wir denn tun? Unser Vermögen ist noch klein, und was wir besitzen, haben wir geerbt und hätten somit ein gerechtes Vermögen in unseren Händen. Aber wenn auch wir dir folgen dürfen, so möchten auch wir tun, was da die beiden Obersten tun.“ 

[158,13] Sagte Ich: „Das steht euch frei. Aber sehet diese Meine alten Jünger an, sie
haben auch einen ganz gerechten Besitz daheim und haben Weiber und Kinder, – sie haben um des Reiches Gottes willen alles verlassen und sind Mir nachgefolgt! Das könnet auch ihr tun!
[158,14] Aber Ich sage euch auch das: Die Vögel haben ihre Nester, und die Füchse haben ihre Löcher; aber Ich, als auf dieser Erde dem Leibe nach auch ein Menschensohn, habe nicht so viel eigenen Besitz, daß Ich darauf nur Mein Haupt hinlegen könnte.“
[158,15] Sagten die beiden Leviten: „Und doch ist der Himmel Dein Thron und diese Erde der Schemel Deiner Füße!“
[158,16] Sagte Ich: „Das hat euch auch nicht euer Fleisch, sondern euer innerer Geist eingegeben! Bleibet in dieser Erkenntnis und sammelt euch Geduld, so werdet ihr leicht zur inneren Vollendung des Lebens gelangen! Gehet sonach denn auch hin und besprechet euch mit dem Lazarus allein!“
[158,17] Das befolgten die beiden Leviten sogleich und gingen zu Lazarus.




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