Aus der Philothea von Franz von Sales / erster Teil / 8. Kapitel
Der erste Beweggrund für diese zweite Reinigung ist die lebendige und starke Überzeugung, daß
die Sünde ein großes Übel ist, und eine tiefe, aufrichtige Reue als Folge dieser Erkenntnis. Ist diese
Reue echt, so reinigt sie uns in Verbindung mit der Kraft des Sakramentes von der Sünde, selbst
wenn sie nicht sehr tief wäre. Ist sie aber stark und lebendig, dann befreit sie uns außerdem von
jeder Anhänglichkeit an die Sünde. Ein schwacher Haß, eine bloße Abneigung bewirkt, daß man
den Gegenstand des Hasses nicht leiden kann und seine Gesellschaft meidet. Ein leidenschaftlicher,
tödlicher Haß dagegen läßt uns nicht nur jenen meiden und verabscheuen, den man haßt; vielmehr
fliehen wir auch den Verkehr mit seinen Verwandten und Freunden, ja wir verabscheuen sogar sein
Bild und alles, was mit ihm zu tun hat. Wer die Sünde mit einer zwar echten aber schwachen Reue
haßt, ist wohl entschlossen, nicht mehr zu sündigen; haßt er sie aber mit einer starken, tiefen Reue,
dann verabscheut er nicht nur die Sünde selbst, sondern auch jede Anhänglichkeit an sie und alles,
was mit ihr zusammenhängt und zu ihr führt.