Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen. Auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen. Und ich will Wunderzeichen geben am Himmel und auf Erden: Blut, Feuer und Rauchdampf. Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des HERRN kommt. Und es soll geschehen: Wer des HERRN Namen anrufen wird, der soll errettet werden. Joel 3



Philothea: Sanftmut - Mittel gegen den Zorn

Der heilige Chrisam, dessen man sich nach apostolischer Überlieferung in der Kirche Gottes für die Firmung und die Weihen bedient, ist zusammengesetzt aus Olivenöl und Balsam; sie versinnbilden zwei kostbare, überaus begehrenswerte Tugenden, die an der Person des göttlichen Heilands erstrahlen. Er hat sie uns so eindringlich empfohlen, als würde durch diese beiden Tugenden unser Herz in besonderer Weise seinem Dienst geweiht und für seine Nachfolge bestimmt. "Lernt von mir", sagt er, "denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen'' (Mt 11,29). Die Demut macht uns vollkommen vor Gott, die Sanftmut dem Nächsten gegenüber. Wie schon früher (vgl. 4. Kapitel) erwähnt, sinkt der Balsam in allen Flüssigkeiten zu Boden; damit ist er ein Sinnbild der Demut. Das Olivenöl schwimmt obenauf; dadurch versinnbildet es die Sanftmut und Güte, die über allem steht und alle Tugenden überragt. Sie ist ja die Blüte der Liebe, die nach dem hl. Bernhard ihre Vollkommenheit erreicht, wenn sie nicht nur geduldig, sondern auch sanftmütig und gütig ist.
Sei aber darauf bedacht, daß Sanftmut und Demut in deinem Herzen wohnen.

Es ist ja einer der teuflischen Schliche, daß viele sich nur in Worten und äußeren Gesten dieser beiden Tugenden bedienen, ohne deren innere Akte zu pflegen. Sie bilden sich ein, demütig und sanftmütig zu sein, sind es aber in Wirklichkeit gar nicht. Das erkennt man daran, daß sie trotz allen sanftmütigen und demütigen Gehabens beim geringsten Widerspruch, bei der kleinsten Beleidigung mit unerhörter Heftigkeit aufbrausen. Wer jenes Vorbeugungsmittel gegen Vipernbisse nimmt, das allgemein "Paulusgnade'' genannt wird, bei dem ruft der Biß einer Viper, sofern das Heilmittel ganz fein zubereitet ist, keine Schwellungen hervor. So schützen auch Demut und Sanftmut, wenn sie gut und echt sind, vor der Aufwallung des Zornes, die eine Beleidigung gewöhnlich im Herzen bewirkt. Wenn wir, von bösen und feindlichen Zungen gestochen, aufbrausen, aufgebracht und ärgerlich werden, so ist dies ein Zeichen, daß unser demütiges und sanftes Reden und Gehaben nicht echt und wahrhaftig ist, sondern erkünstelt und geheuchelt.
Als der heilige und berühmte Patriarch Joseph seine Brüder von Ägypten zu ihrem Vater zurückschickte, gab er ihnen nur den einen Rat mit: "Zürnet einander nicht auf dem Weg!" (Gen 45,24). Das gleiche sage ich dir: Dieses armselige Leben ist nur ein Wandern zum ewigen Leben; zürnen wir also einander nicht auf dem Weg, gehen wir ruhig, friedlich und freundlich in der Gesellschaft unserer Brüder und Gefährten. Ich sage dir aber ganz eindeutig und lasse keine Ausnahme zu: Zürne überhaupt nie, wenn es möglich ist. Lasse keinen Vorwand gelten, der dein Herz dem Zorn zu öffnen vermöchte. Der hl. Jakobus sagt ganz kurz und ohne Einschränkung, daß der Zorn eines Menschen nicht tut, was vor Gott gerecht macht (Jak 1,20).
Gewiß müssen wir dem Bösen widerstehen und gegen die Fehler derjenigen vorgehen, für die wir
Verantwortung tragen: beharrlich und furchtlos, zugleich aber stets ruhig und friedlich. Nichts besänftigt den rasenden Elefanten so leicht wie der Anblick eines Lammes, und nichts bricht so leicht die Wucht eines Geschosses wie weiche Wolle. Auf eine Zurechtweisung, die der Leidenschaft entspringt, mag sie auch von der Vernunft begleitet sein, achtet man weniger als auf eine, die nur von der Vernunft erteilt wird. Denn die vernunftbegabte Seele ist der Vernunft von Natur aus untertan, der Leidenschaft wird sie nur durch herrische Gewalt unterworfen. Daher macht sich die Vernunft verhaßt, wenn die Leidenschaft sie begleitet, weil ihre gerechte Herrschaft durch die Verbindung mit der Tyrannei herabgewürdigt wird. Fürsten erfreuen und ehren die Bevölkerung durch ihren Besuch, wenn sie mit friedlichem Gefolge kommen; führen sie aber Heere mit sich, dann wird ihr Kommen immer als unangenehm und schädlich empfunden, selbst wenn es dem allgemeinen Wohl dient. Wenn sie auch streng auf militärische Zucht achten, irgendwelche Disziplinlosigkeiten kommen doch immer vor, unter denen der friedliche Bürger leidet. Ebenso hat es jeder gern und findet es recht, wenn die Vernunft herrscht und ruhig, wenn auch streng und genau tadelt, zurechtweist und straft; kommt sie aber mit Zorn und Heftigkeit, die nach St. Augustinus ihre Soldaten sind, dann flößt sie mehr Schrecken als Liebe ein und das Herz wird dabei immer getreten und mißhandelt. Weiter sagt der hl. Augustinus: "Es ist besser, auch dem gerechten Zorn den Eintritt zu verwehren, so klein er auch sein mag, denn hat er einmal Platz ergriffen, dann ist es schwer, ihn wieder hinauszuwerfen. Aus dem ursprünglich kleinen Wurzelreis wird im Nu ein Baum. Dauert er einmal bis zur Nacht und geht die Sonne darüber unter (wovor der Apostel so sehr warnt, vgl. Eph. 4,26), dann wird er zum Haß und man kann ihn fast nicht mehr loswerden, denn dann nährt er sich von tausend falschen Gründen. Noch jeder zornige Mensch hat seinen Zorn für gerecht gehalten.
Man bemüht sich also besser, ohne Zorn auszukommen, als selbst mäßigen und berechtigten Zorn zu dulden. Werden wir einmal aus Schwäche und Unvollkommenheit davon überrascht, dann ist es besser, ihn rasch niederzuschlagen, als mit ihm zu unterhandeln; denn sowenig Freiheit man ihm auch zugesteht, er macht sich doch schnell zum Herrn der Lage, der Schlange gleich, die leicht ihren ganzen Leib nachzieht, wo sie einmal den Kopf durchstecken konnte. 

Wie aber schlägt man den Zorn nieder? Nimm schnell deine Kraft zusammen, sobald du ihn aufsteigen fühlst: nicht heftig und ungestüm, sondern ruhig und doch ernsthaft. Bei Parlaments- und Gerichtssitzungen machen oft die Türhüter, die "Ruhe !" schreien, mehr Lärm als die Leute, die sie zum Schweigen bringen wollen; so geht es auch oft mit dem Zorn: wenn wir heftig dagegen ankämpfen, machen wir unser Herz unruhiger, als es vorher war, so daß es vor Aufregung nicht mehr Herr über sich selbst ist.
Nach diesem ruhigen Bemühen befolge die Weisung des hl. Augustinus an den jungen Bischof
Auxilius: "Handle, wie ein Mann handeln soll. Trifft dich, was der Mann Gottes im Psalm sagt: ,Mein Herz ist von großem Zorn erregt', dann rufe zu Gott, auf daß er seine Rechte ausstrecke, um deinem Zorn zu gebieten: ,Herr, hab Erbarmen mit mir!' (Ps 31,10)." Damit will ich sagen, daß wir Gott um Hilfe anrufen müssen, wenn wir uns vom Zorn erregt fühlen, wie die Apostel, als sie mitten auf dem See von Sturm und Unwetter hin- und hergeschleudert wurden. Es wird unsere Leidenschaft zum Schweigen bringen und es wird eine große Ruhe sein. Aber eines sage ich dir immer wieder: Wenn du im Gebet gegen einen vorhandenen oder aufsteigenden Zorn ankämpfst, dann bete immer ruhig, ja nicht heftig! So müssen alle Mittel gegen dieses Übel gehandhabt werden.
Hast du im Zorn gehandelt, dann mache den Fehler sofort wieder gut durch einen Akt der Sanftmut gegen jene, über die du in Zorn geraten bist. Das beste Mittel gegen die Lüge ist, sie zurückzunehmen, sobald man sich ihrer bewußt wird; so ist es auch ein gutes Heilmittel gegen den Zorn, ihn schnellstens durch einen Akt der Sanftmut wieder gutzumachen. Es heißt doch, daß frische Wunden am raschesten heilen.
Lege dir ferner einen Vorrat an Ruhe und Sanftmut an in der Zeit, da du ruhig bist und keinen Anlaß zum Zorn hast, indem du alles, Großes und Kleines, so ruhig und sanft wie möglich sagst und tust. Erinnere dich, daß die Braut im Hohen Lied den Honig nicht nur auf der Zunge und auf den Lippen hat, sondern auch im Herzen (Hld 4,11), und nicht nur Honig, sondern auch Milch. So sollen nicht nur unsere Worte voll Milde gegen den Nächsten sein, sondern auch unser Herz, unsere ganze Gesinnung. Und nicht nur duftenden Honig sollen wir haben, d. h. Höflichkeit und Liebenswürdigkeit im Verkehr mit Freunden, sondern auch süße Milch für die Hausleute und Nachbarn. In dieser Hinsicht verfehlen sich diejenigen schwer, die auf der Straße wie Engel sind, daheim aber Teufeln gleichen.




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