25. Vom Antichrist und seiner Mutter.
Doch der wahnsinnige Mörder, nämlich der Sohn des Verderbens, wird in kürzester Zeit kommen, wie der Tag schon scheidet, wenn die Sonne am Abend untergeht, d. h. wenn die letzte Zeit schon schwindet und die Welt ihren Lauf aufgibt. O meine Getreuen, hört dieses Zeugnis und versteht es ergeben als Warnung, damit euch nicht der ohne euer Wissen plötzlich über euch kommende Schrecken dieses Verderbers ins Unglück des Unglaubens und der Verwerfung stürze. Bewaffnet euch daher und bereitet euch, auf diese Weise gewarnt, mit zuverlässigen Verschanzungen für den so heftigen Kampf. Wenn nämlich diese Zeit gekommen ist, da jener schlimme Betrüger schrecklich in Erscheinung treten soll, ist die Mutter, welche diesen Verführer in die Welt setzen soll, von ihrer Kindheit an und im Mädchenalter durch teuflische Künste voller Laster in einer abgelegenen Wüste unter ganz gottlosen Menschen erzogen worden. Ihre Eltern wissen nichts von ihrem dortigen Aufenthalt und die, mit denen sie zusammenlebt, kennen sie nicht; denn der Teufel überredet sie, dorthin zu gehen und bereitet sie dort durch Täuschung nach seinem Wunsch vor, als ob er ein heiliger Engel wäre. Und sie trennt sich deshalb von den Menschen, um sich umso leichter verbergen zu können. Daher vereinigt sie sich auch mit einigen, wenn auch wenigen Männern heimlich in der schlimmsten Preisgabe der Unzucht und entehrt sich mit ihnen in so großem Eifer für die Unsittlichkeit, wie der heilige Engel sie die Leidenschaft ihre Schlechtigkeit vollbringen läßt. Und so empfängt sie in der brennendsten Glut ihrer Unzucht den Sohn des Verderbens und weiß nicht, von welchem Samen dieser Männer sie ihn empfangen hat.
Doch Luzifer, nämlich die alte Schlange, von dieser Schändlichkeit entzückt, weht nach meinem gerechten Urteil dieses Gerinnsel mit seinen Ränken an und besitzt es mit allen seinen Kräften gänzlich im Schoß seiner Mutter. So geht dieser Verderber aus dem Leib seiner Mutter voll teuflischen Geistes hervor. Dann meidet sie die gewohnte Unzucht und sagt dem törichten und unwissenden Volk offen, daß sie keinen Mann habe und den Vater ihres Kindes nicht kenne. Die Unzucht, die sie beging, nennt sie heilig und daher hält sie das Volk für heilig und nennt sie so. So wird der Sohn des Verderbens bis zum kräftigeren Alter erzogen und entzieht sich immer dem ihm bekannten Volk.
26. Von der Mutter in den magischen Künsten unterwiesen, führt er mit Gottes Zulassung seinen Willen an den verschiedenen Geschöpfen aus.
Seine Mutter aber zeigt ihn mittlerweile mittels einiger magischer Künste sowohl dem Volk, das Gott verehrt, als dem, das ihn nicht ehrt. So bewirkt sie, daß er von ihnen gesehen und geliebt wird. Wenn er zum Vollalter gelangt ist, wird er öffentlich eine verderbliche Lehre vertreten und so mir und meinen Erwählten entgegentreten; er wird so große Kraft gewinnen, daß er versucht, sich in seiner gewaltigen Macht über die Wolken zu erheben. Denn ich erlaube ihm nach meinem gerechten Urteil, seinen Willen an verschiedenen Geschöpfen auszuführen. Denn wie der Teufel am Anfang sprach: "Ich werde dem Höchsten gleich sein" und fiel, so lasse ich auch zu, daß dieser Teufel in der Endzeit stürzt, wenn er in diesem seinem Sohn sagt: "Ich bin der Erlöser der Welt." Und damit die Gläubigen in der ganzen Welt erkennen, daß Luzifer ein Lügner war, als er am Anfang der Tage Gott gleichen wollte, so soll auch jeder Gläubige sehen, daß dieser Sohn der Bosheit ein Lügner ist, wenn er sich vor dem jüngsten Tag dem Sohn Gottes ebenbürtig macht.
27. Von seiner Macht und den verschiedenen Wundern, die er zu vollbringen scheint.
Er ist nämlich ein ganz schlimmes wildes Tier und tötet die Menschen, die ihn ablehnen. Er gesellt sich Königen, Führern, Fürsten und Reichen zu, unterdrückt die Demut und richtet den Stolz auf. Den Erdkreis unterwirft er sich mit teuflischer List. Denn seine Macht dringt bis zur Behausung des Windes vor, so daß er die Luft in Bewegung zu setzen, Feuer aus dem Himmel zu bringen und Blitz, Donner und Hagel zu verursachen scheint. Er scheint auch die Berge umzustürzen, die Wasser auszutrocknen, den Wäldern ihr Grün zu nehmen und ihnen ihren Saft wieder zurückzugeben. Solche Täuschungen zeigt er an verschiedenen Geschöpfen, d. h. bezüglich ihrer Feuchtigkeit, Grünkraft und Dürre. Er läßt aber auch nicht davon ab, an Menschen seine Betrügerei zu wirken. Auf welche Weise? Offenbar verursacht er bei den Gesunden Krankheit und bei den Kranken Gesundheit, scheint Dämonen auszutreiben und zuweilen Tote zu erwecken. Wie? Wenn nämlich manchmal jemand verschieden ist, dessen Seele in der Gewalt des Teufels ist, übt er zuweilen – mit meiner Zulassung – an dem Leichnam seinen Mutwillen aus und bringt seine Leiche in Bewegung, als ob sie lebe; allerdings wird ihm das nur ganz kurze Zeit und nicht über eine längere Zeitspanne zu tun gestattet, damit nicht durch diese Anmaßung die Ehre Gottes ins Lächerliche gezogen werde. Einige, die das sehen, vertrauen ihm. Manche aber möchten bei ihrem früheren Glauben bleiben und ihn dennoch gnädig stimmen. Da er sie wenigstens doch nicht grausamer verletzen will, schickt er ihnen irgendwelche Krankheiten. Suchen sie jedoch ein Heilmittel bei den Ärzten und können nicht geheilt werden, laufen sie zu ihm zurück und versuchen, ob er sie zu kurieren vermag. Wenn er sie aber dann aufsucht, nimmt er ihnen die Krankheit weg, die er ihnen auferlegt hat; daher lieben sie ihn sehr und glauben an ihn. Und so werden viele getäuscht, wenn diese die Augen des inneren Menschen umnebeln, mit denen sie auf mich schauen sollten. In dieser Erprobung ihres Geistes wollen sie in einer gewissen Neugier wissen, was sie mit den äußeren Augen sehen und mit Händen greifen; das Unsichtbare, welches in mir vorhanden und im wahren Glauben zu ergreifen ist, verachten sie. Denn sterbliche Augen können mich nicht erblicken, sondern ich zeige meine Wunder im Schattenbild, wem ich will. Mich selbst aber wird keiner schauen, solange er im sterblichen Leib lebt, nur im Schatten meiner Geheimnisse, wie ich zu meinem Diener Moses sagte und geschrieben steht.
28. Worte des Moses über die Schau Gottes.
"Kein Mensch wird mich sehen und kann am Leben bleiben." (Ex. 33,20)
Das ist so: Wer sterblich ist, wird den irdischen Blick seiner Vergänglichkeit nicht auf die Herrlichkeit meiner Gottheit richten, um das sterbliche Leben in unvergänglicher Asche besitzen zu können, während er sich im Wandel der vergänglichen Zeit befindet, d. h. ein Leben verläßt und zu einem andern übergeht. Denn alles Lebendige ist durch mich dauerhaft, weil ich lebe; und in mir gibt es keine Veränderung. Wie nämlich eine Mücke nicht am Leben bleiben kann, wenn sie sich in eine Feuerflamme stürzt, so könnte auch kein sterblicher Mensch bestehen, wenn er das Aufleuchten meiner Gottheit sähe. Ich aber zeige mich den sterblichen Menschen, solange sie von der Last ihrer Sterblichkeit beschwert sind, so in einem Schattenbild, wie ein Maler den Menschen das Unsichtbare durch seine gemalten Bilder verdeutlicht. Doch wenn du, o Mensch, mich liebst, umarme ich dich und erwärme dich mit der Glut des Heiligen Geistes. Wenn du mich nämlich in deiner guten Absicht anblickst und mich durch deinen Glauben erkennst, dann bin ich mit dir. Doch die mich verachten, wenden sich zum Teufel hin, weil sie mich nicht kennen wollen. Daher verwerfe auch ich sie.
29. Einige vom Teufel Betrogene lassen täuschenderweise Wunderzeichen an Geschöpfen sehen, aber sie können sie nicht in eine andere Art verwandeln.
Diese aber verspottet und täuscht der Teufel, wie immer es ihm beliebt, so daß sie für wahr halten, was er ihnen zeigt. Und diese List seiner Täuschung flößt der Teufel jenen ein, die auf ihn vertrauen, so daß auch sie die Menschen in dieser Kunst täuschenderweise Wunderzeichen an Geschöpfen nach ihrem Wunsch sehen lassen. Aber dennoch können weder die Elemente noch die anderen von Gott geschaffenen Kreaturen in eine andere Art verwandelt werden; sie täuschen nur durch ihre Betrügereien denen, welche an sie glauben, unheimliche nebelhafte Erscheinungen an ihnen vor. Denn auch Adam verlor, als er nach mehr verlangte als er haben sollte, die Paradiesesherrlichkeit. So verlieren auch diese Auge und Ohr des inneren Menschen, weil sie Gott verlassen und den Teufel verehren.
30. Auf wie verschiedene Art der Antichrist die Seinen täuscht und warum ihm das gestattet wird.
Auf diese Weise bewerkstelligt der Sohn des Verderbens seine täuschenden Künste an den Elementen und läßt an ihnen – je nach dem Wunsch der Menschen, die er täuscht – Schönheit, Anmut und Reiz sehen. Diese Gewalt ist ihm aber deshalb zugestanden, damit die Gläubigen im rechten Glauben erkennen, daß der Teufel keine Macht über das Gute hat, sondern nur über die Übel des ewigen Todes. Denn was immer dieser Sohn der Bosheit tut, wirkt er mit Gewalt, Stolz und Grausamkeit; er besitzt keine Barmherzigkeit, Demut und Unterscheidung, sondern drängt die Menschen mit einem Befehl und großer Verblüffung dazu, ihm zu folgen. Er gewinnt eine große Schar für sich, indem er ihnen sagt, sie dürften frei ihren Willen erfüllen und bräuchten sich nicht zu vielem Wachen und Fasten verpflichten. Er verheißt ihnen, daß sie nur ihren Gott, der er zu sein vorgibt, zu lieben bräuchten, um, von der Hölle befreit, zum Leben zu gelangen. Daher sagen die derart Getäuschten: "O weh, diese Unglücklichen, welche vor diesen Zeiten lebten, ihr Leben mit grausamen Quälereien erschwerten und ach, die Güte unseres Gottes nicht kannten." Jener zeigt ihnen nämlich Schätze und Reichtum und erlaubt ihnen, nach ihren Wünschen zu schwelgen. Mit trügerischen Zeichen bekräftigt er seine Lehre, so daß sie glauben, es nicht nötig zu haben, ihren Leib irgendwie in Zucht zu nehmen und zu bändigen. Er befiehlt ihnen jedoch, die Beschneidung und das Judentum nach den Gebräuchen der Juden zu beobachten und erleichtert ihnen die schwereren Gesetzesvorschriften, welche das Evangelium – mit würdiger Buße verbunden – in Gnade wandelt, nach ihrem Willen. Und er spricht: "Wer sich zu mir bekehrt, dessen Sünden werden getilgt und er wird mit mir in Ewigkeit leben." Er verwirft auch die Taufe und das Evangelium meines Sohnes und spottet über alle Gebote, die der Kirche übergeben sind. Und wiederum sagt der Teufel spöttisch zu denen, die ihm dienen: "Seht nur, wer und wie verrückt der gewesen ist, welcher dem einfachen Volk mit seiner Betrügerei das zur Beobachtung aufgestellt hat!"
31. Vom Scheintod des Antichrist und dem Buch der Verwünschung; wer ihm widerspricht, wird getötet.
"Ich aber will für euch und zu euerm Ruhm sterben und vom Tod auferstehen und so werde ich mein Volk von der Hölle befreien, so daß ihr von nun an glorreich in meinem Reich lebt"; dieser Betrüger gab vor, das schon früher getan zu haben. Und darauf befiehlt er seinen Anhängern, ihn mit einem Schwert zu erschlagen und ihn bis zum Tag seiner Auferstehung in reines Leinen zu hüllen. Und sie werden so getäuscht, daß sie glauben, ihn zu töten und auf diese Weise seine Befehle auszuführen; später ersteht er scheinbar und führt eine Schrift vor, die gleichsam zum Heil der Seelen eine schreckliche Verwünschung enthält. Er übergibt sie den Menschen als Zeichen und läßt sich von ihnen anbeten. Wenn das aber ein Gläubiger aus Liebe zu meinem Namen verweigert, wird er von ihm durch grausame Pein und Foltern vernichtet. Daher sind alle, die das sahen oder hörten, von Staunen und Zweifel betroffen, wie auch mein geliebter Johannes zeigt und spricht.
32. Worte des Johannes.
"Und ich sah eins von seinen Häuptern tödlich getroffen und seine Todeswunde wurde geheilt. Und voll Bewunderung folgte die ganze Welt dem Tier." (Offb 13,3)
Das ist so: Ich, der Liebhaber der Geheimnisse Gottes, sah, wie der Betrüger und Verfluchte mit ganz großen und unzähligen Bosheiten die Unschuld der Heiligen umzingelt und sie mit vielfachen Lasten heimsucht. Er wird durch die Listen seiner Betrügereien vortäuschen, sein Blut bei seiner Hinmordung zu vergießen und so zu sterben. Nicht körperlich findet er den Tod, sondern er wird gleichsam als täuschendes Schattenbild erschlagen und für sterbend erachet. Daher gibt er auch – als sei er mit seinen täuschenden Wunden tot – vor, wie aus einem Todesschlaf zum Leben erwacht zu sein. Und so werden alle Menschen auf der ganzen Erde, starr vor Staunen und Schrecken über ihn, in Furcht vor diesem Verfluchten geraten, wie auch das Volk über die Größe und Stärke Goliaths entsetzt war, als es ihn bewaffnet zum Kampf sich gegenüberstehen sah.
Wie du siehst, scheinen auch so die Säulen meiner Auserwählten, sowohl vor diesen Foltern als auch vor den widersprüchlichen, auffallenden und schrecklichen Zeichen, welcher dieser Sohn des Verderbens von sich gibt, von großem Staunen und Zittern erfaßt zu sein und stöhnen vor Jammer und Not auf.
33. Warum Henoch und Elias bis zu dieser Zeit zurückbehalten werden.
Doch meine beiden Zeugen, die ich im Geheimnis meines Willens bis zu dieser Zeit aufbewahrt habe, nämlich Henoch und Elias, werde ich aussenden, damit sie ihn bekämpfen und die Irrenden zum Weg der Wahrheit zurückführen. Sie werden meinen Gläubigen die stärksten und kräftigsten Tugenden vor Augen führen. Denn weil die Worte ihres Zeugnisses in beider Mund ganz übereinstimmen, werden sie den Hörern den Glauben bringen. Deswegen sind diese beiden Zeugen der Wahrheit nämlich solange bei mir zurückbehalten worden, damit sogleich bei ihrem Auftreten ihr Wort in den Herzen meiner Erwählten verstanden und bekräftigt werde und der Sproß meiner Kirche von da an in großer Demut Bestand habe. Und sie werden zu den Kindern Gottes, deren Namen im Buch des Lebens stehen, sprechen.
34. Ihre Worte an die Kinder Gottes.
"O ihr Redlichen, zum herrlichen Lob der beglückenden Gnaden des (ewigen) Lebens erwählt, hört und versteht, was wir euch zuverlässig berichten: Dieser Verfluchte ist vom Teufel entsandt, um die Seelen, welche sich seinen Vorschriften unterwerfen, in Irrtum zu führen. Wir lebten nämlich von dieser Welt zurückgezogen, in den Geheimnissen Gottes zurückbehalten, die den Menschen verborgen sind. Der Sorge und Angst der Menschen waren wir entzogen. Dazu aber sind wir aufbewahrt und zu euch gesandt worden, um den Irrtümern dieses Verderbers zu widersprechen. Seht also, ob wir euch nicht an Wuchs und Alter ähneln."
35. Von ihren wahrhaftigen Zeichen, durch die der Betrug des Antichrist verworfen wird.
Und alle, die den wahren Gott erkennen und bekennen wollen, folgen diesen beiden Greisen und wahren Zeugen, die das Banner der göttlichen Gerechtigkeit tragen, und geben den ungerechten Irrtum auf. Denn sie werden unter lautem Lobpreis vor Gott und den Menschen aufleuchten, Ortschaften, Straßen und Städte, sowie die anderen Orte, wo immer der Sohn des Verderbens seine verderbliche Lehre ausgestreut hat, durcheilen und dort viele Zeichen im Heiligen Geist wirken. So wird das ganze Volk, welches sie sieht, zu größter Bewunderung geführt. Diese großen Wunderzeichen, die auf festem Felsen gründen, werden ihnen aber deswegen geschenkt werden, daß die verderblichen und falschen Zeichen herabgesetzt werden. Denn wie ein Blitz zündet und verbrennt, so handelt auch der Sohn des Verderbens. Mit seiner schlimmen Bosheit und Schlechtigkeit verbrennt er die Leute durch magische Künste wie ein feuriger Blitz. Doch Henoch und Elias werfen mit der rechten Lehre seine ganze Kohorte gleichsam mit einem Donnerschlag eingeschüchtert zu Boden und festigen so die Gläubigen.
36. Nach dem von Gott zugelassenem Tod erhalten sie den Lohn ihrer Mühen.
Sind sie jedoch mit der Zulassung meines Willens schließlich von ihm getötet worden, erhalten sie den Lohn für ihre Mühen im Himmel. Dann fallen zwar die Blüten ihrer Lehre ab, weil ihre Stimme in der Welt bereits verstummt ist, aber in den Erwählten tritt die gute Frucht zutage. Diese verachten die Phrasen und die Wut der teuflischen List und sind wohlgefestigt in der Hoffnung auf das himmlische Erbe, wie auch Salomon auf den guten und redlichen Menschen verweist und spricht: "Das Haus des Gerechten ist am dauerhaftesten und im Gewinn des Gottlosen liegt Beunruhigung." (Spr. 15,6)
Das ist so: Das sichere Haus, in dem es keinen Schmerz und kein Unglück gibt, ist der besondere Spiegel des göttlichen Auges im redlichen Menschen. In ihm sieht dieses Auge die Kraft seiner Wundertaten gleichsam im Herannahen eines tödlichen Schwertes. Doch in den Taten, die wie wachsende Früchte aus einem hochmütigen Herzen hervorgehen, das in seinen Eigenwilligkeiten Ruinen errichtet, wird eine gewisse Traurigkeit stecken, weil dieses stolze Herz nicht auf die Hoffnung vertraut, welche in himmlischer Sättigung erblüht.
37. Alle Glieder der Kirche werden durch den anmaßenden Übermut des Antichrist in Schrecken versetzt, der glaubt, er könne das Innerste des Himmels durchdringen.
Daß du aber siehst, wie sich dieses unförmige Haupt mit so großem Getöse von seiner Stelle löst, daß die ganze erwähnte Frauengestalt in allen ihren Gliedern davon erzittert, bedeutet: Wenn der Sohn des Verderbens, der das Haupt der Bosheit ist, sich in heftigem arrogantem Hochmut aus der ihm anhaftenden Bosheit wie aus einem kleinen Irrtum erhebt, reißt er einen größeren Wahn an sich; er möchte sich nämlich über alle erhöhen, d. h., wenn seine Täuschungen ans Ende gelangt sind, wird die ganze Kirche in all ihren größeren und kleineren Kindern in großen Schrecken versetzt und erwartet seine wahnsinnige Anmaßung. Und es befindet sich eine Unmenge Kot um das Haupt; es erhebt sich daraus wie über einen Berg und versucht zur Himmelshöhe aufzusteigen. Denn die so großen Listen der teuflischen Nachstellung, welche viel Unreinheit verursachen, stehen diesem Sohn der Bosheit bei, verleihen ihm die Flügel des Stolzes und erheben ihn zu solcher Anmaßung, daß er sogar glaubt, das Innerste des Himmels durchdringen zu können. Auf welche Weise? Wenn er nämlich den Willen des Teufels vollkommen erfüllt hat, so daß er nach dem gerechten Urteil Gottes keine Erlaubnis mehr zu seiner so großen Macht an Bosheit und Grausamkeit erhält, sammelt er seine ganze Horde und sagt denen, die an ihn glauben, er wolle in den Himmel auffahren. Doch wie der Teufel nicht wußte, daß der Gottessohn zur Erlösung der Seelen geboren werde, so ist auch diesem großen Übeltäter nicht bekannt, daß der kräftige Schlag der Hand Gottes über ihn kommt, wenn er sich in das todbringende Übel aller Übel einhüllt.
38. Die Macht Gottes vernichtet in sichtbarer Stärke gleichermaßen den Sohn des Verderbens wie den Teufel durch ewige Verdammnis.
Und da ertönt plötzlich etwas wie ein Donnerschlag und trifft das Haupt mit solcher Wucht, daß es von diesem Berg herabstürzt und seinen Geist im Tod aushaucht. Denn die sich offenbarende Macht Gottes streckt den Sohn des Verderbens mit solcher Kraft seines Eifers nieder, daß er vom Hochmut, mit dem er sich gegen Gott erhoben hatte, durch den großen Fall seiner Anmaßung kopfüber herabstürzt und so im Tod ewiger Verdammnis seinen Lebensodem vollständig von sich gibt. Denn wie die Versuchungen meines Sohnes beendet wurden, als er bei der Versuchung dem Teufel befahl: "Weiche Satan" und jener erschreckt floh, so werden auch diese Verfolgungen, die der Sohn der Bosheit über die Kirche bringt, in diesem meinem Eifer ihr Ende finden.
39. Höllischer Gestank und Dunst wird den Ort seiner Überheblichkeit erfüllen, damit die Getäuschten zurückweichen.
Daher ergreift auch sogleich ein so übelriechender Dunst den ganzen Berg, und das Haupt wird darin von so großem Schmutz bedeckt, daß das dabeistehende Volk in größten Schrecken versetzt wird. Denn der so unreine und höllische Gestank wird den Ort seiner Überheblichkeit ganz erfüllen, an dem jener schlimme Verleumder einen solchen Schmutz ausspie, daß man sich nach gerechtem Urteil Gottes von da an weder an seinen Beginn noch an sein Ende erinnern kann. Jene Scharen sehen nämlich seine Leiche stumm auf die Erde hingestreckt und von großer Fäulnis erfüllt; sie erkennen, daß sie getäuscht sind und der Dunst bleibt noch etwas länger um diesen Berg herum. Denn jener Gestank, der den teuflischen Hochmut umgibt, erweist ihn als unrein, damit die von ihm verführten Menschen, welche den Gestank und jenen Schmutz wahrnehmen, ihren Irrtum meiden und zur Wahrheit zurückkehren. Denn als das anwesende Volk das sieht, wird es von großer Angst erfüllt; als sie das nämlich erblicken, überfällt sie größtes Entsetzen, so daß sie heulend und weinend in Klagen ausbrechen und bekennen, sie hätten sich schwer getäuscht.
40. Nach der Niederstreckung des Sohnes des Verderbens wird die Braut Christi vom Glanz wunderbarer Schönheit strahlen, während die Irrenden zum Weg der Wahrheit zurückkehren.
Und plötzlich erscheinen die Füße der erwähnten weiblichen Gestalt glänzend weiß und leuchten heller auf als der Glanz der Sonne. Das heißt: Die Stärke des Fundaments und die Stütze der Braut meines Sohnes wird den großen Glanz des Glaubens zeigen und jene Schönheit, die alle Anmut irdischer Herrlichkeit übertrifft, aufweisen, wenn der Sohn des Verderbens – wie schon gesagt wurde – niedergestreckt ist und viele der Verirrten zur Wahrheit zurückkehren.
41. Der Tag des Gerichts kann niemand als Gott kennen.
Doch nach dem Fall des Gottlosen soll der sterbliche Mensch nicht zu erfahren suchen, wann bei der Auflösung der Welt der Jüngste Tag eintrifft, denn er kann ihn nicht kennen. Der Vater hat ihn nämlich in seinem verborgenen Geheimnis aufbewahrt. Bereitet euch also zum Gericht, o Menschen! Wie aber schon erwähnt wurde, wird der Sohn des Verderbens mit seinem Vater, dem Teufel, und mit all seinen Künsten in der Endzeit von meinem Sohn, dem stärksten Kämpfer, überwunden werden, wie auch die so starken Feinde des Samson, der sein Vorbild war, verworfen wurden, wie geschrieben steht.
12. Vision des 3. Teils (1-16) – Der Tag der Großen Offenbarung
Danach schaute ich: Und plötzlich wurden alle Elemente und Geschöpfe von einem schrecklichen Beben erschüttert, Feuer, Luft und Wasser brachen hervor und brachten die Erde in Aufruhr. Es dröhnte von Blitzen und Donnerschlägen. Berge und Wälder fielen, so daß alles Sterbliche das Leben aushauchte. Und alle Elemente wurden gereinigt, so daß auf diese Weise alles Schmutzige an ihnen verschwand und nicht mehr auftauchte. Und ich hörte eine Stimme mit lautem Ruf über den ganzen Erdkreis erschallen; sie rief: "O ihr Menschenkinder, die ihr in der Erde ruht, erhebt euch alle!"
Und siehe da! Alles menschliche Gebein an jedem Ort der Erde sammelte sich augenblicklich und bedeckte sich mit seinem Fleisch; und alle Menschen erstanden mit ihren unversehrten Gliedern und Leibern, je nach ihrem Geschlecht. Die Guten leuchteten in Herrlichkeit und die Bösen erschienen schwarz, so daß man das Werk eines jeden an ihm wahrnahm. Und einige von ihnen waren mit dem Glauben besiegelt, manche aber nicht. So trug ein Teil der Besiegelten einen goldenen Glanz auf ihrem Antlitz, die andern gleichsam einen Schatten; das war ihr Kennzeichen.
Doch plötzlich flammte vom Osten her ein mächtiger Blitz auf. Und ich erblickte dort auf einer Wolke den Menschensohn mit demselben Antlitz, das er auf Erden trug, und mit offenen Wunden. Er kam mit den Chören der Engel und thronte auf einer Flamme, die glühte, aber nicht brannte. Unter ihm tobte ein gewaltiger Sturm zur Reinigung der Welt, und die Besiegelten wurden wie von einem Wirbelwind ergriffen, der sie ihm entgegen entrückte, dorthin, wo ich schon früher jenen Glanz erblickt hatte, der das Geheimnis des himmlischen Schöpfers versinnbildet. Dort wurden die Guten nämlich von den Bösen getrennt. Er aber beglückte mit einladender Stimme – wie das Evangelium deutlich zeigt – die Gerechten mit dem Himmelreich und die Ungerechten bestimmte er – wie dort ebenfalls geschrieben steht – mit schreckenerregenden Worten für die höllischen Qualen. Es erfolgte dort jedoch keine andere Befragung oder Antwort bezüglich ihrer Taten, als das Wort des Evangeliums bekundet, denn das Werk eines jeden, ob es nun gut oder schlecht gewesen war, trat öffentlich an ihm zutage. Die Unbesiegelten aber standen weitab in der nördlichen Gegend unter der Schar der Teufel und gelangten nicht vor dieses Gericht; sie sahen dennoch dies alles wie in einem Wirbelsturm. Sie erwarteten den Ausgang dieses Gerichts und seufzten bitterlich in ihrem Herzen.
Als so das Gericht beendet war, hörten Blitzen, Donnern, Winde und Unwetter auf, und was an den Elementen vergänglich war, verschwand plötzlich. Eine große Stille entstand. Dann eilten die Gerechten, die auf einmal noch mehr leuchteten als die Sonne, mit dem Sohn Gottes und den seligen Scharen der Engel in großer Freude zum Himmel, während die Verworfenen mit dem Teufel und seinen Engeln mit großem Wehgeschrei zum Ort der Hölle fuhren. Und so empfing der Himmel die Auserwählten und die Hölle verschlang die Verworfenen. Doch plötzlich entstanden solche Freude und so laute Lobgesänge im Himmel und so große Traurigkeit und lautes Heulen in der Unterwelt, daß es kein menschlicher Begriff mehr auszudrücken vermag. Und alsbald erstrahlten alle Elemente in größter Heiterkeit, als wenn ihnen eine schwarze Haut abgezogen worden wäre. So verbrannte das Feuer nicht mehr, die Luft war nicht mehr getrübt, das Wasser tobte nicht mehr und die Erde war nicht mehr vergänglich. Auch die Sonne, der Mond und die Sterne funkelten am Firmament in hellem Glanz und großer Schönheit wie kostbarer Schmuck und blieben unbeweglich auf ihrer Kreisbahn stehen, so daß sie nicht mehr Tag und Nacht schieden. Auf diese Weise war es nicht Nacht sondern Tag. Das Ende war da. Und wiederum hörte ich eine Stimme vom Himmel zu mir sprechen.
1. Zur Endzeit löst sich die Welt unter viel Unheil wie ein Mensch in der Todesstunde auf.
Diese Geheimnisse zeigen die Endzeit an, in der die vergänglichen Zeiten mit jenem ewigen Licht vertauscht werden, das kein Ende nimmt. Die letzten Zeiten werden nämlich von vielen Gefahren erschwert werden und viele Anzeichen werden auf den Untergang der Welt hinweisen. Denn wie du siehst, wird an jenem Jüngsten Tag der ganze Erdkreis von Schrecknissen erschüttert und von Unwettern zerrüttet, so daß alles, was auf ihm hinfällig und sterblich ist, durch dieses Unheil das Ende findet. Denn da der Weltenlauf bereits vollendet ist, kann er nicht länger bestehen, sondern wird nach göttlichem Ratschluss zerstört. Wie nämlich ein Mensch, der seinem Ende entgegensieht, von vielen Krankheiten heimgesucht und niedergestreckt wird, so daß er sich in seiner Todesstunde sogar unter großem Schmerz vollends auflöst, so werden dem Ende der Welt große Widerwärtigkeiten voraneilen und sie an ihrem Ende unter verschiedenen Schrecknissen auflösen. Denn die Elemente werden dann ihre Schrecken zeigen, weil sie sie weiterhin nicht mehr ausüben können.
2. Alle Kreaturen geraten plötzlich in Aufruhr und alles Sterbliche in der Luft, zu Wasser oder auf der Erde gibt das Leben auf, und was hässlich an ihnen ist, vergeht.
Allerdings werden bei diesem Ende die Elemente unter einem plötzlichen und unerwarteten Beben entfesselt, alle Menschen geraten in Bewegung, Feuer bricht aus, die Luft löst sich (in ihre Bestandteile) auf, das Wasser fließt über, die Erde wird erschüttert, Blitze zucken, Donnerschläge krachen, Berge werden gespalten, Wälder stürzen und alles Sterbliche in der Luft, zu Wasser oder auf der Erde gibt das Leben auf. Das Feuer bringt nämlich die ganze Luft in Bewegung und Wasser erfüllt die ganze Erde. Und auf diese Weise wird alles gereinigt und so verschwindet alles Hässliche auf der Welt, als ob es nie gewesen wäre, wie Salz zerfließt, wenn man es ins Wasser wirft.
3. Die Körper der Toten erstehen – wo immer sie sich befinden unversehrten Leibes, je nach ihrem Geschlecht.
Und auf den göttlichen Befehl aufzuerstehen, verbinden sich augenblicklich die Gebeine der Toten – wie dir schon gezeigt wurde – an ihrem Ort, wo sie sich auch befinden mögen, und bedecken sich mit ihrem Fleisch, ohne jeden Aufschub. In größter Schnelligkeit werden sie wiederhergestellt, ob sie nun von Feuer, Wasser, einem Vogel oder einem wilden Tier verzehrt worden sind. Die Erde gibt sie auf diese Weise zurück, wie Salz aus dem Wasser ausgeschieden wird, denn mein Auge kennt alles und nichts kann vor mir verborgen werden. So erstehen alle Menschen mit Seele und Leib, ohne daß eines ihrer Glieder verkrüppelt oder abgeschnitten wäre, unversehrten Leibes und je nach ihrem Geschlecht in einem Augenblick. Die Auserwählten haben den Glanz ihrer guten Werke und die Verworfenen tragen die Schwärze ihrer unglückseligen Taten. So werden ihre Werke dort nicht verheimlicht, sondern sie erscheinen offen an ihnen.
4. Von den besiegelten und unbesiegelten Auferstehenden.
Und einige von ihnen sind mit dem Glauben besiegelt, manche aber nicht, so daß das Gewissen der einen, die gläubig sind, durch Werke des Glaubens im Glanz der Weisheit funkelt, das der andern aber in der Finsternis ihrer Nachlässigkeit erscheint. Dadurch unterscheidet man sie öffentlich, denn jene haben den Glauben in Werken vollendet, diese jedoch haben ihn in sich ausgelöscht. Etliche aber tragen dieses Zeichen des Glaubens nicht, denn diese wollten weder unter dem alten Gesetz noch in der neuen Gnade die Erkenntnis des lebendigen und wahren Gottes besitzen.
5. Der Sohn, dem der Vater die Gewalt gegeben hat, Gericht zu halten, wird in menschlicher Gestalt zu Gericht kommen.
Und dann wird der Sohn Gottes in der Helligkeit des ewigen Lichts, aber dennoch in einer Wolke, durch die den Verworfenen die himmlische Herrlichkeit verhüllt wird, in der Gestalt seiner Menschheit und seines Leidens, das er nach dem Willen des Vaters für das Heil des Menschengeschlechts erduldete, von der himmlischen Heerschar umgeben, kommen, um dieses Menschengeschlecht zu richten. Denn der Vater hat ihm das übergeben, damit er das Sichtbare auf der Welt beurteile, weil er selbst sichtbar auf Erden gelebt hatte. So zeigt er es auch im Evangelium auf und spricht.
6. Das Evangelium darüber.
"Er gab ihm die Vollmacht, Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist." (Joh 5,27)
Das ist so: Der Vater legt Zeugnis ab von seinem Sohn. Was bedeutet das? Der Vater übergab dem Sohn die Vollmacht. Denn dieser bleibt immer in seiner Gottheit beim Vater, empfängt aber von der Mutter die Menschheit gemäß seines Menschseins. Der Vater verlieh ihm auch, daß die ganze Schöpfung ihn als Sohn Gottes erfährt, wie auch die ganze Schöpfung in der Erschaffung ihrer Gestalt als Gottes Geschöpf besteht. Und deshalb werden alle Werke vom Sohn beurteilt, wie beachtlich oder geringfügig sie auch sein mögen; und wie sie einzustufen sind, so stuft er sie ein, um gerecht zu beurteilen, was auf der Welt sichtbar war, weil er selbst auf Erden ein Mensch zum Anfassen und Sehen gewesen ist. Er erscheint nämlich in der richterlichen Gewalt furchtbar für dir Ungerechten, aber für die Gerechten gewinnend, und richtet sie so, daß auch die Elemente seine Reinigung zu spüren bekommen.
7. Die Besiegelten werden mühelos und schnell dem gerechten Richter entgegen entrückt und ihre Werke werden offenbar.
Dann werden die, welche besiegelt sind, mühelos, ja in großer Schnelligkeit entrückt; denn weil sie treu an Gott glaubten, werden auch die Werke des Glaubens offen an ihnen in Erscheinung treten, und da Gottes Wissen auch ihre Taten bezüglich Gut und Böse kennt, wie dir schon gezeigt wurde, werden dort Gute und Böse getrennt, denn auch ihre Werke sind ungleich. Dort wird nämlich sowohl an den Bösen als auch an den Guten unfehlbar sichtbar, in welchem Maß sie Gott in der Kindheit, im Knabenalter, in der Jugend, im Alter oder am Lebensende gesucht haben.
8. Alle Blumen werden prangen: die Patriarchen, Propheten, Apostel, Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen, Mönche und andere Vorangestellte.
Dort leuchten alle Blumen meines Sohnes, nämlich die Patriarchen und Propheten, die vor seiner Menschwerdung gelebt haben, die Apostel, welche mit ihm auf Erden wandelten, und die Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen und Witwen, die ihn gläubig nachahmten, und jene, die meiner Kirche sowohl in weltlichen als auch in geistlichen Belangen vorangestellt wurden, und auch die Einsiedler und Mönche, die sich in Züchtigung und Abtötung ihres Fleisches um des Namens meines Sohnes willen verächtlich machten, weil sie auch in großer Demut und Liebe durch ihr Gewand zeigten, daß sie die Ordnung der Engel nachahmen. Sucht man mich aber derart im beschaulichen Leben, daß man sagt: "Dieses Leben ist rühmlicher als jenes", so gilt das nichts vor mir; doch der mich demütig in jenem Wandel sucht, der durch die Eingebung des Heiligen Geistes geschenkt wurde, dem werde ich im himmlischen Vaterland die ersten Plätze zuweisen.
9. Wenn der Sohn den Urteilsspruch verkündet, nachdem die persönliche Gewissenseröffnung stattgefunden hat, enthalten sich die Himmel einstweilen schweigend ihrer Lobgesänge.
Danach enthalten sich die Himmel einstweilen schweigend ihrer Lobgesänge, wenn der Sohn Gottes den Gerechten und Ungerechten den Urteilsspruch verkündet und sie mit größter Ehrfurcht zuhören, wie er sie beurteilt, wenn er den Gerechten freundlich himmlische Freude gewährt und die Ungerechten furchterregend in höllische Qualen schickt. Es erfolgt jedoch dort keine weitere Entschuldigung oder Befragung bezüglich ihrer Taten: Nur das Gewissen der guten und bösen Menschen liegt dort entblößt und offen.
10. Von den zu richtenden Guten und Bösen.
Die Gerechten aber, denen die Worte des ganz gerechten Richters zuteil werden, haben zwar viele Werke der Gerechtigkeit getan, brachten sie aber, solange sie auf der Welt lebten, nicht zur vollkommenen Vollendung und werden jetzt darüber gerichtet. Die Ungerechten jedoch, welche dort die richterliche Strenge an sich erfahren, haben zwar böse Taten begangen, handelten aber dennoch nicht in Unkenntnis über die göttliche Majestät, d. h. in der Bosheit des schon vorher verdammten Unglaubens. Und deshalb entkommen sie dort nicht dem Urteilsspruch des Richters, weil allem das rechte Gewicht beigelegt werden muß.
11. Von den schon gerichteten Ungläubigen, die nicht vor Gericht gelangen.
Die aber nicht mit dem Glauben besiegelt sind, weil sie nicht an Gott geglaubt haben, stehen in der nördlichen Gegend, d. h. in der Region der Verdammung, halten sich inzwischen bei der Schar der Teufel auf und gelangen nicht vor dieses Gericht. Sie sehen es dennoch schattenhaft und ersehnen sein Ende mit vielem innerem Seufzen. Sie haben nämlich auf ihrem Unglauben beharrt und den wahren Gott nicht erkannt, weil sie weder vor der Taufe den lebendigen Gott im alten Bund verehrten, noch unter dem Evangelium das Heilmittel der Taufe empfingen. Sie verharrten vielmehr unter dem Fluch von Adams Fall und zogen sich die Qualen der Verdammung zu. Daher trifft man sie im Unglauben ihrer Vergehen schon gerichtet an.
12. Nach beendetem Gericht entsteht größte Ruhe und Stille.
Wenn so das Gericht beendet ist, hören die Schrecknisse der Elemente und Blitze, Donnerschläge und Stürme in den Gewittern auf und alles Hinfällige und Vergängliche vergeht und erscheint nicht wieder, wie Schnee keinen Bestand hat, der von der Hitze der Sonne zerschmilzt; so entstand auf göttliche Anordnung größte Ruhe und Stille.
13. Die Auserwählten empfängt unter lautem Lobgesang die Herrlichkeit der Ewigkeit, doch die Verworfenen verschluckt die Unterwelt unter großem Geheul.
Und so gelangen die Auserwählten im Glanz der Ewigkeit zusammen mit ihrem Haupt, nämlich meinem Sohn, und mit der ruhmreichen himmlischen Heerschar in großer Herrlichkeit zu den himmlischen Freuden und die Verworfenen kommen mitsamt dem Teufel und seinen Engeln in großer Beschämung (an den Ort) der ewigen Strafen. Dort werden sie fortwährend vor Augen haben, daß ihnen der ewige Tod bereitet ist, weil sie lieber ihren Begierden als meinen Geboten folgten. Und so nimmt der Himmel die Auserwählten in die Herrlichkeit der Ewigkeit auf, weil sie den Beherrscher der Himmel geliebt haben. Und die Hölle verschlingt die Verworfenen, weil sie den Teufel nicht fahren ließen. So ertönt in der himmlischen Herrlichkeit vor lauter Freude ein so lauter Lobgesang und in der Unterwelt vor lauter Seufzen ein so großes Wehgeschrei, daß es kein menschlicher Sinn mehr fassen kann; denn jene gehen zum ewigen Leben ein und diesen wird der ewige Tod zuteil, wie mein Sohn im Evangelium sagt und spricht.
14. Das Evangelium darüber.
"Und diese werden zur ewigen Pein eingehen, die Gerechten aber zum ewigen Leben." (Mt 25,46)
Das ist so: Die den üblen Geruch ihrer Buhlerei mit allem Schlechten an sich tragen und nicht danach dürsten, in der höchsten Güte Gerechtigkeit zu schöpfen, werden auf dem Weg ihres Unglaubens und ihrer Schlechtigkeit in die Strafen des ewigen Verderbens gestürzt und empfangen höllische Qualen gemäß ihren Taten. Die Erbauer des strahlenden himmlischen Jerusalem aber, die gläubig vor den Pforten der Tochter Sion stehen, werden im Licht des ewigen Lebens aufleuchten, das die allerreinste Jungfrau in der Fruchtbarkeit ihrer Jungfräulichkeit den Gläubigen wunderbar gebracht hat.
15. Wie sich die Elemente, die Sonne, der Mond und die Sterne nach beendetem Gericht zum Besseren wandeln und es keine Nacht mehr geben wird.
Und wie du siehst, werden die Elemente, nachdem dies alles geschehen ist, in größter Klarheit und Schönheit erstrahlen, d. h. alle hinderliche Schwärze und Schmutzigkeit ist verschwunden. Das Feuer wird dann nämlich ohne Glut wie Morgenrot schimmern und die Luft ohne Trübung ganz rein und glänzend sein; das Wasser wird ohne heftigen Erguss und Überfließen durchsichtig und ruhig daliegen und die Erde wird ganz unverwüstlich und ohne Verunstaltung fest und eben erscheinen, wenn das alles in große Ruhe und Schönheit übergegangen ist. Doch auch die Sonne, der Mond und die Sterne werden wie kostbare Edelsteine auf Goldhintergrund sehr klar und mit großem Glanz am Firmament schimmern und nicht mehr auf ihrer unruhigen Kreisbahn Tag und Nacht zu trennen haben. Denn am Weltende sind sie nunmehr unbeweglich, so daß von jetzt an keine nächtliche Finsternis erscheint, weil der Tag dann nicht zu Ende geht; so bezeugt und spricht auch mein geliebter Johannes.
16. Worte des Johannes darüber.
"Und es wird keine Nacht mehr geben und sie benötigen kein Lampen- und Sonnenlicht, weil Gott der Herr ihnen leuchtet." (Offb 22,5)
Das ist so: Wer einen Schatz besitzt, verbirgt ihn zuweilen und bringt ihn zuweilen auch zum Vorschein, wie auch die Nacht das Licht verdeckt und der Tag die Finsternis verscheucht und den Menschen Licht bringt. So wird es beim Übergang der Zeiten (in die Ewigkeit) nicht sein. Denn dann wird der Schatten der Nacht verscheucht, so daß von nun an keine nächtliche Finsternis mehr auftritt, denn auch jene umgewandelte Welt benötigt nicht mehr jenes Licht, das sich die Menschen anzünden, um die Schatten der Finsternis zu vertreiben. Es hängt auch dann nicht vom Sonnenstand ab, der sogleich jene Zeiten beeinflußt, die dem Schatten gehören. Denn dann wird der Tag ohne irgendwelche Veränderung bestehen, weil jetzt auch der Herrscher über alles mit dem Licht seiner Gottheit, das keine Veränderlichkeit verdunkelt, die erleuchtet, welche auf Erden durch seine Gnade die Finsternis vertrieben haben. Wer aber scharfe Ohren zum inneren Verständnis besitzt, lechze in leidenschaftlicher Liebe zu meinem Abbild nach diesen Worten und schreibe sie ins Gewissen seiner Seele ein.