Franz von Sales | Philothea - 9. Kapitel
Die Sanftmut können wir gut an uns selbst üben, indem wir über uns oder unsere Fehler niemals in Zorn geraten. Gewiß verlangt die Vernunft, daß uns die Fehler mißfallen und leidtun, aber dieses Mißfallen darf nicht bitter, ärgerlich und zornig sein. Darin fehlen viele, die nach einem Zornausbruch in Zorn geraten, weil sie zornig waren; sie ärgern sich über ihren Ärger und dadurch sind sie die Ursache, daß ihr Herz immer von Zorn wie durchtränkt ist. Wenn es auch scheint, als ob der zweite Zorn den ersten aus der Welt schaffen sollte, in Wirklichkeit bahnt er doch schon einen neuen Zornausbruch für die nächste Gelegenheit an. Übrigens laufen dieser Zorn und Ärger, diese Erbitterung über sich selbst auf den Stolz hinaus, ihre Wurzel ist die Eigenliebe, die sich aufregt und in Unruhe gerät, weil sie uns noch unvollkommen findet.
Der gewiß notwendige Abscheu vor unseren Fehlern muß also ruhig, ernst und fest sein. Das Strafurteil des Richters über den Verbrecher ist wirkungsvoller, wenn der Richter sein Urteil ruhig und mit Vernunftgründen fällt, als wenn er es heftig und leidenschaftlich tut. Denn urteilt er leidenschaftlich, dann straft er die Fehler nicht nach der Schwere des Vergehens, sondern nach der Stärke seiner Leidenschaft. So strafen wir uns selbst auch wirksamer durch eine ruhige und beharrliche Reue als durch eine verbitterte, aufgeregte und zornige. Für eine heftige und ungestüme Reue ist der Maßstab nicht die Größe der Sünde, sondern die Heftigkeit unserer Neigungen. Wer z. B. die Keuschheit liebt, wird über den geringsten Fehler gegen diese Tugend mit beispielloser Bitterkeit aufgebracht sein, über eine schwere Verleumdung dagegen, die er begangen hat, nur lachen. Ein anderer wieder haßt die üble Nachrede und wird sich wegen einer geringfügigen Nörgelei abquälen, eine schwere Sünde gegen die Keuschheit aber nicht einmal beachten, usw. Das alles kommt davon, daß das Gewissen nicht nach der Vernunft, sondern aus Leidenschaft urteilt.
Glaube mir, ruhige und herzliche Ermahnungen des Vaters vermögen ein Kind viel eher zu bessern als Zorn und Wutausbrüche. So ist es auch bei uns. Haben wir einen Fehler begangen, dann mahnen wir unser Herz ruhig und liebevoll, mehr aus Mitleid als in leidenschaftlichem Unwillen; reden wir ihm zu, sich zu bessern, dann wird die Reue viel tiefer ins Herz eindringen und es nachhaltiger beeinflußen als eine verärgerte, zornige und stürmische Reue. Wäre mir z. B. viel daran gelegen, ja nicht durch Eitelkeit zu sündigen, und ich beginge trotzdem einen schweren Fehler dagegen, so würde ich mein Herz nicht etwa so tadeln: "Was bist du doch abscheulich und erbärmlich, daß du dich nach vielen Vorsätzen wieder der Eitelkeit ergeben hast! Stirb vor Scham! Erhebe mir nie mehr die Augen zum Himmel, du blindes, schamloses, verräterisches, gegen deinen Gott treuloses Herz...'' Ich würde ihm vielmehr vernünftig und voll Mitleid zureden: "Mein armes Herz, jetzt bist du wieder in die Grube gefallen, die wir zu meiden so entschlossen waren. Laß uns wieder aufstehen und ein für allemal der Eitelkeit entsagen! Rufen wir die Barmherzigkeit Gottes an, vertrauen wir auf sie; sie wird uns helfen, in Zukunft tapferer zu sein. Kehren wir wieder auf den Weg der Demut zurück. Mut! Seien wir von jetzt an recht auf der Hut; mit Gottes Hilfe wird es gehen.'' Auf dieser Selbstermahnung würde ich dann einen festen, kräftigen Entschluß aufbauen, nicht mehr in den Fehler zu fallen und alle Mittel dagegen anzuwenden, besonders den Rat meines Seelenführers.
Die Sanftmut können wir gut an uns selbst üben, indem wir über uns oder unsere Fehler niemals in Zorn geraten. Gewiß verlangt die Vernunft, daß uns die Fehler mißfallen und leidtun, aber dieses Mißfallen darf nicht bitter, ärgerlich und zornig sein. Darin fehlen viele, die nach einem Zornausbruch in Zorn geraten, weil sie zornig waren; sie ärgern sich über ihren Ärger und dadurch sind sie die Ursache, daß ihr Herz immer von Zorn wie durchtränkt ist. Wenn es auch scheint, als ob der zweite Zorn den ersten aus der Welt schaffen sollte, in Wirklichkeit bahnt er doch schon einen neuen Zornausbruch für die nächste Gelegenheit an. Übrigens laufen dieser Zorn und Ärger, diese Erbitterung über sich selbst auf den Stolz hinaus, ihre Wurzel ist die Eigenliebe, die sich aufregt und in Unruhe gerät, weil sie uns noch unvollkommen findet.
Der gewiß notwendige Abscheu vor unseren Fehlern muß also ruhig, ernst und fest sein. Das Strafurteil des Richters über den Verbrecher ist wirkungsvoller, wenn der Richter sein Urteil ruhig und mit Vernunftgründen fällt, als wenn er es heftig und leidenschaftlich tut. Denn urteilt er leidenschaftlich, dann straft er die Fehler nicht nach der Schwere des Vergehens, sondern nach der Stärke seiner Leidenschaft. So strafen wir uns selbst auch wirksamer durch eine ruhige und beharrliche Reue als durch eine verbitterte, aufgeregte und zornige. Für eine heftige und ungestüme Reue ist der Maßstab nicht die Größe der Sünde, sondern die Heftigkeit unserer Neigungen. Wer z. B. die Keuschheit liebt, wird über den geringsten Fehler gegen diese Tugend mit beispielloser Bitterkeit aufgebracht sein, über eine schwere Verleumdung dagegen, die er begangen hat, nur lachen. Ein anderer wieder haßt die üble Nachrede und wird sich wegen einer geringfügigen Nörgelei abquälen, eine schwere Sünde gegen die Keuschheit aber nicht einmal beachten, usw. Das alles kommt davon, daß das Gewissen nicht nach der Vernunft, sondern aus Leidenschaft urteilt.
Glaube mir, ruhige und herzliche Ermahnungen des Vaters vermögen ein Kind viel eher zu bessern als Zorn und Wutausbrüche. So ist es auch bei uns. Haben wir einen Fehler begangen, dann mahnen wir unser Herz ruhig und liebevoll, mehr aus Mitleid als in leidenschaftlichem Unwillen; reden wir ihm zu, sich zu bessern, dann wird die Reue viel tiefer ins Herz eindringen und es nachhaltiger beeinflußen als eine verärgerte, zornige und stürmische Reue. Wäre mir z. B. viel daran gelegen, ja nicht durch Eitelkeit zu sündigen, und ich beginge trotzdem einen schweren Fehler dagegen, so würde ich mein Herz nicht etwa so tadeln: "Was bist du doch abscheulich und erbärmlich, daß du dich nach vielen Vorsätzen wieder der Eitelkeit ergeben hast! Stirb vor Scham! Erhebe mir nie mehr die Augen zum Himmel, du blindes, schamloses, verräterisches, gegen deinen Gott treuloses Herz...'' Ich würde ihm vielmehr vernünftig und voll Mitleid zureden: "Mein armes Herz, jetzt bist du wieder in die Grube gefallen, die wir zu meiden so entschlossen waren. Laß uns wieder aufstehen und ein für allemal der Eitelkeit entsagen! Rufen wir die Barmherzigkeit Gottes an, vertrauen wir auf sie; sie wird uns helfen, in Zukunft tapferer zu sein. Kehren wir wieder auf den Weg der Demut zurück. Mut! Seien wir von jetzt an recht auf der Hut; mit Gottes Hilfe wird es gehen.'' Auf dieser Selbstermahnung würde ich dann einen festen, kräftigen Entschluß aufbauen, nicht mehr in den Fehler zu fallen und alle Mittel dagegen anzuwenden, besonders den Rat meines Seelenführers.
Wer aber findet, daß durch diese milde Zurechtweisung sein Herz nicht genug erschüttert wird, der
mag es auch ernst und schwer tadeln, um sich zu einer tiefen Herzenszerknirschung anzuregen.
Nachdem er aber gegen sich gezürnt und sich abgekanzelt hat, soll er seine Reue durch einen
friedlichen Akt heiligen Vertrauens auf Gott beschließen nach dem Vorbild des großen Büßers, der
seiner betrübten Seele wieder Mut macht mit dem Gebet: "Warum bist du so traurig, meine Seele,
warum erregt? Hoffe auf Gott, denn ich werde ihn preisen als meines Antlitzes Heil und meinen
wahren Gott" (Ps 43,5).
Erhebe also dein Herz ganz sanft, wenn es gefallen ist, und demütige dich tief vor Gott in der Erkenntnis deines Elends, ohne jemals über deinen Fall erstaunt zu sein. Es ist ja kein Wunder, wenn die Schwäche schwach, die Kraftlosigkeit kraftlos, das Elend armselig ist. Verabscheue aber trotzdem von ganzem Herzen die Beleidigung, die du Gott zugefügt hast, und kehre mit großem Mut und Vertrauen auf seine Barmherzigkeit zurück auf den Weg der Tugend, von dem du abgewichen bist.
Erhebe also dein Herz ganz sanft, wenn es gefallen ist, und demütige dich tief vor Gott in der Erkenntnis deines Elends, ohne jemals über deinen Fall erstaunt zu sein. Es ist ja kein Wunder, wenn die Schwäche schwach, die Kraftlosigkeit kraftlos, das Elend armselig ist. Verabscheue aber trotzdem von ganzem Herzen die Beleidigung, die du Gott zugefügt hast, und kehre mit großem Mut und Vertrauen auf seine Barmherzigkeit zurück auf den Weg der Tugend, von dem du abgewichen bist.