Philothea von Franz von Sales 10. Kapitel
Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt, die unsere Arbeit auszeichnen sollen, sind wohl zu unterscheiden
von Unruhe, Ängstlichkeit und Übereilung. Die Engel kümmern sich um unser Heil und erfüllen
diese Aufgabe mit Sorgfalt, aber ohne Unruhe, Aufregung und Hast. Gewissenhaftigkeit und
Sorgfalt sind Eigenschaften ihrer Liebe! Aufregung und Überhastung aber wären mit der Seligkeit
der Engel nicht vereinbar. Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt stören den Frieden und die Ruhe der
Seele nicht, wohl aber Ängstlichkeit, Hast und aufgeregte Geschäftigkeit.
Sei sorgfältig und gewissenhaft in allen Obliegenheiten. Gott hat sie dir anvertraut und will, daß du
große Sorgfalt darauf verwendest. Vermeide aber dabei jede Ängstlichkeit und Aufregung, d. h.
verrichte sie ohne Unruhe, ohne ängstliche Besorgnis oder hitzigen Eifer. Verrichte deine Arbeit
niemals hastig, denn jede aufgeregte Hast trübt Vernunft und Urteil; damit hindert sie uns, eine
Sache gut zu machen, auf die wir solch blinden Eifer verwenden.
Der Heiland tadelte Martha mit den Worten: "Martha, Martha, du bekümmerst und beunruhigst dich
um vieles'' (Lk 10,41). Siehst du: Hätte sie einfach ihre Pflicht erfüllt, dann wäre sie nicht in
Aufregung geraten; da sie aber voll unruhiger Besorgnis war, tat sie ihre Arbeit hastig und verwirrt,
und deswegen tadelte sie der Herr.
Flüsse, die in der Ebene ruhig dahinfließen, tragen große Schiffe mit reicher Fracht; ein Regen, der
sanft auf das Feld niederrieselt, macht es fruchtbar. Tosende Wildbäche dagegen und reißende
Ströme überschwemmen das Land und sind für den Schiffsverkehr ungeeignet, wie auch Platzregen
und Wolkenbrüche Wiesen und Felder verwüsten.
Nie ward gut getan, was mit Hast und Ungestüm verrichtet wurde. "Eile mit Weile'', sagt das
Sprichwort. "Wer eilt'', sagt Salomon, "läuft Gefahr anzustoßen'' (Spr 19,2). Wir arbeiten rasch
genug, wenn wir gut arbeiten. Die Hummeln machen mehr Lärm und gebärden sich geschäftiger als
die Bienen, aber sie erzeugen weder Wachs noch Honig. So arbeitet weder viel noch gut, wer sich
überhastet. Die Fliegen sind eine Plage nicht wegen ihrer Stärke, sondern wegen ihrer Menge;
deswegen verwirren uns große Aufgaben weniger als eine große Zahl kleiner Geschäfte. Nimm sie
alle in Ruhe hin, wie sie kommen. Bemühe dich, sie der Reihe nach zu erledigen, eins nach dem
anderen. Wolltest du sie alle auf einmal ohne rechte Ordnung bewältigen, dann übernimmst du dich,
ermüdest deinen Geist und wirst unter der Last erliegen, ohne etwas erreicht zu haben.
Stütze dich in allen Arbeiten völlig auf die Vorsehung Gottes; nur sie gibt deinen Plänen das
Gelingen. Trage ruhigen Gemütes deinen Teil dazu bei und sei überzeugt, wenn du dein ganzes
Vertrauen auf Gott gesetzt hast, wirst du den besten Erfolg haben, mag er nun deinem menschlichen
Ermessen gut oder schlecht erscheinen. Mache es wie die kleinen Kinder: Mit der einen Hand
halten sie sich am Vater fest, mit der anderen pflücken sie Erdbeeren und Brombeeren am Wegrain.
So sammle und gebrauche auch du die irdischen Güter mit der einen Hand, mit der anderen halte
dich an der Hand des himmlischen Vaters fest. Schau immer wieder zu ihm auf, ob ihm dein Tun
und dein Wandel recht ist. Hüte dich vor allem, seine Hand loszulassen und dich seiner Obhut zu
entziehen, in der Meinung, du könntest dann mehr zusammenraffen. Hält er dich nicht mehr, dann
wirst du keinen Schritt tun, ohne hinzufallen.
Hast du nur gewöhnliche Beschäftigungen, die keine gesammelte Aufmerksamkeit verlangen, dann
schau mehr auf Gott als auf deine Arbeit. Hast du aber eine Arbeit, die deine ganze
Aufmerksamkeit beansprucht, dann blicke wenigstens von Zeit zu Zeit zu Gott auf, gleich dem
Seemann auf offenem Meer; um seine Richtung einzuhalten, schaut er mehr auf den Himmel als auf
das Wasser, auf dem er dahinfährt. So wird Gott mit dir, in dir und für dich arbeiten, und deine
Arbeit wird dir Freude bereiten.