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DNC: Betrachtung des Todes

Aus "Die Nachfolge Christi" von Thomas von Kempen  |  Erstes Buch  |  Anleitung zum geistlichen Leben  |  Kapitel 23

1. Der Tod kommt schnell. Bereite dich. Das Leben eilt.
2. Er kommt sicher und für viele unerwartet.
3. Er bringt dir eine bittere oder selige Sterbestunde; es hängt von dir ab. 

4. Er mahnt: Wirke jetzt dein Heil, solange es noch Zeit ist.
5. Er kommt bei vielen Gelegenheiten.
6. Er weist über das Grab hinaus zur ewigen Heimat.


1. Gar schnell wird es hier mit dir geschehen sein. Sieh nur, wie es um dich steht. Heute lebt der Mensch noch, morgen ist er nicht mehr. Ist er aber einmal den Augen entschwunden, so ist er auch schnell aus dem Sinn. Wie ist doch das Menschenherz so träge und abgestumpft, daß es nur an die Gegenwart denkt und sich um die Zukunft so wenig sorgt! Du solltest dich in all deinem Tun und Denken so verhalten, als würdest du heute sterben. Hättest du ein gutes Gewissen, würdest du den Tod nicht sonderlich fürchten. Besser wäre es, die Sünden zu meiden, als den Tod zu fliehen. Bist du heute nicht bereit, wie willst du es morgen sein? Das „Morgen" ist ein ungewisser Tag. Weißt du übrigens, ob du das "Morgen" noch erleben wirst? Was nützt es, lange zu leben, wenn wir uns so wenig bessern? Ja, ein langes Leben bessert nicht immer; oft mehrt es nur die Schuld. Hätten wir doch einen Tag in dieser Welt gut gelebt! Viele zählen die Jahre ihrer Hinkehr zu Gott, aber die Frucht der Lebensbesserung ist oft gering. Ist es schrecklich zu sterben, so ist es vielleicht noch gefährlicher, länger zu leben. Glücklich, wer die Stunde seines Hinscheidens immer vor Augen hat und sich täglich auf das Sterben vorbereitet!
 
2. Hast du je einmal einen Menschen sterben sehen, so bedenke, daß auch du denselben Weg gehen wirst. Wenn es Morgen geworden ist, stelle dir vor, du werdest den Abend nicht mehr erreichen. Ist es Abend geworden, wage nicht, dir den Morgen zu versprechen. Sei also immer bereit und lebe so, daß der Tod dich nie unvorbereitet finde. Viele sterben plötzlich und unversehens; denn "der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da man es nicht vermutet" (Lk 12, 40).
Ist jene letzte Stunde gekommen, dann wirst du dein ganzes vergangenes Leben in einem völlig anderen Lichte sehen und tief bedauern, daß du so nachlässig und lau gewesen bist. Wie glücklich und klug ist der, der sich bemüht, jetzt so zu leben, wie er im Tode befunden werden möchte. Große Zuversicht auf eine glückliche Sterbestunde wird haben dürfen, wer die Welt vollkommen gering wertet, ein glühendes Verlangen nach Fortschritt in der Tugend hegt, die Zucht liebt und das Opfer der Buße nicht scheut, wer willigen Gehorsam leistet, sich selbst verleugnet und alles Widrige aus Liebe zu Christus erträgt.


4. Viel Gutes kannst du wirken, solange du gesund bist. Was du aber in kranken Tagen zustande bringst, das weiß ich nicht. Wenige werden durch Krankheit gebessert, sowie auch jene selten heilig werden, die viel wallfahren. Verlaß dich nicht auf Freunde und Verwandte und verschieb dein Heil nicht auf die Zukunft; denn rascher, als du meinst, werden dich die Menschen vergessen. Besser ist es, dich beizeiten vorzusehen und ein gutes Werk vorauszuschicken, als auf anderer Leute Hilfe zu hoffen. Trägst du heute keine Sorge um dich selbst, wer wird künftig für dich sorgen? Jetzt ist die Zeit sehr kostbar, "jetzt sind die Tage des Heiles, jetzt ist die Zeit der Gnade" (2 Kor 6, 2). Aber wie traurig, daß du diese Zeit nicht nutzbringender verwendest! Du kannst doch Verdienste sammeln und ewig davon leben. Kommen wird der Augenblick, da du sehnlichst verlangst, auch nur einen Tag oder eine einzige Stunde zu haben, um dich zu bessern, und ich weiß nicht, ob du sie erhalten wirst. Sieh doch, teurer Freund, aus welcher großen Gefahr du dich befreien, welcher drückenden Furcht du dich entziehen kannst, wenn du jetzt immer gottesfürchtig lebst und des Todes gewärtig bist. Suche jetzt so zu leben, daß die Todesstunde eher Freude als Furcht in dir weckt.
Lerne jetzt der Welt abzusterben, um dann ein "Leben mit Christus" (Gal 2,20) zu beginnen. Lerne jetzt alles von dir zu werfen, um dann unbeschwert zu Christus zu eilen. Züchtige jetzt deinen Leib durch Buße, um dann in sicherer Zuversicht leben zu können.

5. Du Tor! Wie kannst du denken, du würdest lange leben, wo dir kein Tag sicher ist. Wie viele schon sahen sich betrogen und plötzlich dem Leib entrissen! Wie oft hast du sagen hören: Dieser fiel im Kampf, jener ertrank, der eine fiel aus der Höhe und brach den Hals, der andere starb beim Essen, wieder ein anderer fand den Tod beim Spiel. Einen tötete das Feuer, den anderen das Schwert, einen dritten die Seuche, einen vierten ermordeten Räuber. So ist das Ende aller der Tod, und flüchtig wie ein Schatten eilt des Menschen Leben dahin.
 

6. Wer denkt noch an dich, wenn du gestorben bist, wer betet für dich? Mein Teuerster, tue jetzt, was du nur tun kannst; denn du weißt nicht, wann deine Stunde schlägt, und ebenso wenig, was dir nach dem Tode bevorsteht. Sammle dir unvergängliche Schätze, solange du noch Zeit hast. Dein einziger Gedanke sei dein Heil, deine einzige Sorge sei das, was Gottes ist. Mach dir jetzt die Heiligen zu Freunden, indem ihren Wandel nachahmst. Betrachte dich als einen Fremdling und Gast auf Erden, den die Händel der Welt nichts angehen. Halte dir dein Herz frei und richte es empor zu Gott; denn du hast hier keine bleibende Stätte (Hebr 13, 14). Dorthin sende täglich unter Tränen dein Bitten und Flehen, damit dein Geist verdiene, glücklich heimzufinden zum Herrn, wenn du gestorben bist. Amen!